Das Luzifer Evangelium
Helikopterbasis auf dem provisorischen Flughafen ab. Mit klappernden Rotorblättern tauchte der Hubschrauber in das grelle Gegenlicht. In der Ferne – fast unsichtbar in den Staubwolken, die sie aufwirbelten – sah ich eine Kolonne tarnfarbener Jeeps, Humvees und M1 Abrams-Kampfpanzer, die am Rand des Ausgrabungsareals patrouillierten. Der Wüstenwind trug stechende Sandpartikel mit sich, die sich wie Schorf auf unsere Haut klebten und in großen Placken abgekratzt werden mussten. Ich beschattete die Augen mit dem Unterarm vor der intensiven Sonneneinstrahlung. Der Himmel war wolkenlos, die Hitze unerträglich. Unter der Khakikleidung, den Handschuhen und dem um den Kopf geschlungenen Turban, die meine kreideweiße Haut schützen sollten, war ich schweißgebadet. Vor ein paar Stunden lag die Temperatur bereits bei fünfundvierzig Grad. Im Schatten! Der Horizont flimmerte im Hitzedunst. So, dachte ich, muss es in der Hölle sein.
Luzifers Evangelium befand sich im Gewölbe des Handschriftenlabors in Oxford. CC meinte, dass es dort am sichersten wäre. Er hatte die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, falls die Drăculsângeer einen Überfall wagen sollten.
Um die Mönche zu verwirren – die wir den ganzen Sommer über als vage, flüchtige Schatten an der Peripherie unseres Seins geahnt hatten –, hatte CC vorgegaukelt, die Handschrift in das Lager im Irak mitgenommen zu haben. Unmittelbar vor der Plattform, auf der ich im Schutz eines schräg gespannten Sonnensegels saß, scharte sich eine Gruppe Archäologen und Ingenieure um Winkelmessgeräte und Höhenmesser. Ein amerikanischer und ein italienischer Archäologe diskutierten mit großen Gesten. Die Männer, die für das enorme Rasternetz des Ausgrabungsfeldes Schnüre von Punkt zu Punkt spannten, machten wütende Gesten in Richtung des Helikopters – einer SuperCobra –, der über das Ausgrabungsgelände fegte, über uns in der Luft stehen blieb und Sand aufpeitschte, der einem den Atem nahm. Einer der Piloten öffnete die Tür und schoss ein paar Fotos, ehe der Helikopter weiter zum Landeplatz flog und in der Mitte des Kreises mit dem großen H landete. Ein gepanzerter Humvee, der hinter der Terminalbaracke gewartet hatte, fuhr vor. Vom Co-Pilotenplatz sprang eine Gestalt auf den Boden und lief vornübergebeugt unter den rotierenden Rotorblättern zu dem Humvee. Der SuperCobra hob ab, während der Humvee in Richtung des militärischen Feldbüros fuhr, vor dem auf einer hohen Fahnenstange die amerikanische Flagge wehte.
Ich nahm die Sonnenbrille ab, die ich in al-Hilla gekauft hatte, und ließ den Blick über die Ausgrabungsstätte schweifen, die den Spitznamen Babylon-II bekommen hatte. Irgendwo im Erdreich unter uns hofften wir auf die Überreste des Turms zu Babel zu stoßen.
Die amerikanischen Soldaten, die auf uns aufpassten und die archäologische Feldarbeit überwachten, hatten in null Komma nichts ein Militärlager und eine Igelstellung um das gesamte Ausgrabungsterritorium errichtet. Die Eingangspartie war durch hohe Stacheldrahtzäune, Stahltore und Sicherheitsschleusen gesichert. Wie ein Gefängnis, dessen vorderstes Ziel es war, niemanden reinzulassen. Schräg gestellte Stahlbalken und anderthalb Meter hohe Betonblöcke ragten rund um das Lager aus dem Boden. Der äußere Zaun war vier Meter hoch und aus Stacheldraht, der innere nur zwei Meter, aber er führte Strom. Gerüchte machten die Runde, dass der zehn Meter breite Gürtel zwischen innerem und äußerem Zaun vermint war. Nachts badete die ganze Umgebung in Flutlicht, mit dem Ergebnis, dass Myriaden seltsamster Insekten und Kriechtiere angelockt wurden. Die unheimlichsten – die Kamelspinnen – waren so groß wie Tischtennisschläger. Dass sie streng genommen nicht zur Familie der Spinnen gehörten, tröstete mich wenig.
Die Zivilisten waren in einem Barackendorf untergebracht, das etwas abseits des Militärlagers und der gemeinsamen Kommandozentrale lag. Mein Zimmer war ein Schlauch und so klein, dass es mehr an eine Besenkammer erinnerte. Feldbett. Tisch. Stuhl. Ein Aluminiumschrank. Zum Glück hatte die Verwaltungschefin Carolyn Olsson mir ein Einzelzimmer zugeteilt. In den meisten Butzen standen Etagenbetten.
2
»Ist es nicht unglaublich«, sagte CC am ersten Abend, als wir auf der Plattform vor dem Büro der Ausgrabungsleitung unterm Sternenhimmel saßen, »dass wir jetzt hier im sagenumwobenen Babylon sind?«
Sobald die Sonne unterging, kühlte die Wüstenluft rapide ab. Und
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