Das Luzifer Evangelium
Sie schon, Luigi!«
»Es ist wieder geschehen.«
»Luigi! Treiben Sie keine Spielchen mit mir, bitte!«
»In Ägypten. Genau wie die Nag-Hammadi-Schriften.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ein Hirte, Giovanni, es ist doch nicht zu fassen! Ein Hirte hat in einer Höhle in der Wüste ein uraltes Manuskript gefunden.«
Ein Kribbeln, wie wenn man zu schnell aufgestanden war, ließ Giovanni nach der Lehne seines Stuhls greifen.
»Giovanni? Sind Sie noch da?«
»Ja, ja, reden Sie weiter.«
»Das Manuskript lag in gewachstes Leder eingeschlagen in einem versiegelten Tonkrug. Ist das nicht fantastisch? Erst die Schriftrollen vom Toten Meer, dann Nag Hammadi und jetzt dies. Was kommt als Nächstes? Das Judas-Evangelium?« Luigi lachte schallend über seinen eigenen Witz.
»Und um was für einen Text handelt es sich?«
»Giovanni, Giovanni, nicht so ungeduldig. Er ist noch nicht übersetzt, geschweige denn gesichtet worden. Mein ägyptischer Kontaktmann, der sich ehrlich gesagt besser mit Kamelen und Frauen auskennt als mit Sprache, meinte, der Text sei in Keilschrift verfasst worden.«
Giovanni runzelte die Stirn. Keilschrift? Er war lateinische oder griechische Texte gewohnt. Hebräische oder aramäische. Die Keilschrift wurde eigentlich mit noch älteren Kulturen in Verbindung gebracht. Man musste schon gewaltiges Glück haben wie beim Gilgamesch-Epos oder der Enûma Elîsch; bei den meisten Texten handelte es sich um reine Übersichten über irgendeinen langweiligen Handel.
Luigi erkannte, in welche Richtung die Gedanken seines Gesprächspartners gingen. »Warten Sie, mein Freund, warten Sie. Wir reden sicher nicht über eine traurige Bestandsliste irgendeines Warenlagers oder den Bericht eines reisenden Händlers.«
»Nicht? Haben Sie nicht gesagt, der Text sei noch gar nicht gelesen worden?«
»Mein ägyptischer Freund hat mir die beiden Symbole beschrieben, die auf der ersten Seite sind.«
»Ja?«
»Giovanni …«
»Ich höre Ihnen zu.«
»Sitzen Sie? Sonst halten Sie sich fest.«
Giovanni setzte sich brav hinter seinen Schreibtisch. »Seien Sie nicht so melodramatisch. Reden Sie schon! Was ist auf der ersten Seite?«
»Ganz oben über dem Text steht ein Symbol. Eine Art Siegel.«
»Was ist das für ein Symbol?«
»Eine Triquetra.«
Giovanni runzelte die Stirn und legte die Pfeife in den Aschenbecher. Nachdenklich kritzelte er die verflochtenen Bögen auf den Notizblock, der immer aufgeschlagen neben dem Telefon lag.
»Giovanni?«
»Ich denke nach …«
»Entschuldigen Sie, aber ich dachte, Sie wären neugierig auf den Text.«
»Reden Sie schon!«
»Das andere Symbol ist ein Pfau.«
Das statische Knistern des Telefons erfüllte die Stille.
»Sie wollen mir einen Bären aufbinden, Luigi.«
»Melek Taus.«
Er griff nach seiner Pfeife, nahm einen tiefen Zug und fachte die Glut wieder an.
»Giooooo-vaaaaa-niiii …«, sang Luigi.
»Triquetra … Pfau … Sie meinen, dass es sich um Luzifers Evangelium handeln kann?«
»Ist das nicht fantastisch?«
»Das kann doch nicht echt sein?«
»Warum denn nicht?«
»Es muss sich um eine Fälschung handeln. Eine getürkte Version. Vermutlich von irgendeinem dummen Mönch im Mittelalter verfasst und dann in dieser Höhle versteckt, um Idioten wie uns in die Irre zu führen.«
»So sprechen Sie doch für sich, Sie verklemmter Akademiker.«
»Vermutlich haben Sie nie den Artikel gelesen, den ich im letzten Jahr geschrieben habe? In der Rivista Teologica .«
»Natürlich habe ich das. Sie meinen, das wäre zu gut, um wahr zu sein?«
»In der Regel ist es das.«
»Nehmen Sie den Auftrag an, Giovanni?«
»Welchen Auftrag?«
»Für einen Professor haben Sie eine verdammt lange Leitung. Mein Gott, ist das denn so schwer zu verstehen?«
»Können Sie nicht einfach sagen, was Sie auf dem Herzen haben, Luigi?«
»Würden Sie nach Luxor reisen, auf meine Kosten selbstverständlich, das Manuskript holen und eine erste Analyse vornehmen?«
»Aber …«
»Giovanni, hören Sie mir zu! Ich habe nicht vor, diesem ägyptischen Eseltreiber das Vermögen zu zahlen, das er verlangt, wenn das Manuskript nicht so echt ist, dass Sie beim Lesen Satans Höllenatem riechen!«
»Was ist mit den ägyptischen Behörden, haben die das Manuskript anerkannt?«
»Die Formalitäten sind alle geregelt.«
»Wen haben Sie bestochen, Luigi?«
»Sie sind witzig, Professor! Sie wissen genauso gut wie ich, dass wir dem Manuskript eher gerecht werden, wenn wir es hierher nach Rom
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