Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
auch lieber auf dem Fußboden, den Kopf an die weichen Knie gelehnt, und hörte andächtig zu, wenn Oma Gant erzählte. Stundenlang tat sie das, während sie Strümpfe stopfte oder Wäsche ausbesserte. Nur beim Bügeln war sie lieber allein. »Ich hab’ man immer Angst, das Kind kommt mich ans heiße Eisen.« Diesen Verdacht hatte Julia zwar empört von sich gewiesen – »ich weiß doch, dass ich das nicht darf« –, aber Oma Gant war unerbittlich geblieben.
»Und was is, wenn ich nu mal raus muss? Dann gehst du mich womöglich doch ran. Nee – nee, beis Bügeln will ich keinen von euch Kroppzeuch bei mich haben.«
Sonst liebte sie das Kroppzeug. »Endlich sind mal wieder Kinder im Haus. Mit die Großen kann ich ja nu nich mehr so richtich, aber so was Kleines, was schon aus das Gröbste raus is, is mich immer am liebsten.« Dann hatte sie Julia auf den Arm genommen und ihr einen schmatzenden Kuss gegeben. Worauf Tobias, der diese kleine dicke Frau mit wachsendem Interesse betrachtet hatte, sofort getürmt war. Küssende Frauen konnte er nicht ausstehen. Mal abgesehen von der Mami, die ja ein gewisses Recht darauf hatte und zum Glück sehr sparsam war mit ihren Liebesbezeigungen, aber schon die Aufforderung seiner richtigen Oma, ihr einen »schönen dicken Kuss« zu geben, verursachte ihm jedes Mal Gänsehaut. Männer küssen nicht! Deshalb konnte er ja auch den Vati nicht verstehen, der so oft an Mami herumküsste.
»Das gehört zu den wenigen angenehmen Pflichten eines Ehemannes«, hatte Florian seinem Sohn erklärt, und der hatte ganz entsetzt gefragt: »Muss man das wirklich, wenn man verheiratet ist?« Auf das zustimmende Nicken seines Vaters hatte Tobias im Brustton der Überzeugung verkündet: »Dann heirate ich nie!«
»Darüber reden wir in zehn Jahren noch mal«, hatte Florian lachend gesagt, aber Tobias konnte sich nicht vorstellen, weshalb man dieses Thema jemals wieder aufgreifen sollte.
Nun war er seiner Großmutter und ihren Küssen endlich entkommen, da tauchte eine falsche Oma auf, die auch küssen wollte. Sonst war sie ja ganz okay, hatte auch meistens Bonbons in der Tasche oder mal einen Radiergummi mit Mickymaus oben drauf, und den Dreiangel in der neuen Hose hatte sie ganz schnell und prima gestopft, dass Mami ihn bis heute noch nicht bemerkt hatte, bloß diese dumme Küsserei!
Oma Gant wurde also telefonisch herbeizitiert, erschien auch umgehend, obwohl Sonntag war, denn außerhalb ihrer turnusmäßigen Arbeitszeit war sie noch nie gerufen worden, und ihre Schwägerin im Altersheim konnte sie auch ein andermal besuchen.
Die Mitteilung. Frau Schliers habe das Handtuch geworfen, nahm sie mit beifälligem Nicken zur Kenntnis. »Das sieht sie ähnlich. Ich hab’ ihr ja nie nich leiden können, aber tüchtich isse gewesen, alles was recht is.« Dann sah sie die erwartungsvollen Gesichter um sich herum und wehrte erschrocken ab. »Ich würde Sie ja man gerne helfen, aber das geht nu nich mehr. So’n bisschen Plätten schaffe ich allemal, und bei den Nähsachen kann ich ja bei sitzen, bloß mit die Bewegung und die Korpelenz tu ich mich schwer. Die Martha kann Sie das auch sagen. Bis ich mich einmal bücken tu, is schon der halbe Tag rum.«
Es wäre übrigens zwecklos, den eigenartigen Dialekt von Oma Gant lokalisieren zu wollen, weil er in dieser Perfektion nirgendwo gesprochen wird. Nach eigenen Angaben war sie nördlichsten Zipfel von Ostpreußen geboren und als früh verwaistes Kind innerhalb der weitläufigen Verwandtschaft von einer Tante zur anderen weitergereicht worden. Auf diese Weise hatte sie erst Schlesien von Nord nach Süd durchquert, war dann nach Pommern zur Großmutter und nach deren Tod zur Großtante nach Mecklenburg gekommen, hatte ihr Pflichtjahr in Grünau bei Berlin und das Kriegsende im sächsischen Crimmitschau überstanden. Ihr späterer Mann stammte aus dem Sudetenland, und von ihm hatte das Konglomerat von Dialekten, das Creszentia Gant, geborene Schemanski, ohnehin schon sprach, noch den letzten Schliff bekommen.
Anfänglich hatte Tinchen befürchtet, die sehr eigenwillige Grammatik könnte auf die Kinder abfärben, aber dann hatte sie entdeckt, dass Tobias seinerseits versuchte, Oma Gant und den Duden einander näher zu bringen. »Das heiß doch: Gib mir mal die Schere und nicht mich!« – »Dat lern ich wohl nu ook nich mehr, min Jung«, hatte sie geantwortet, »aber nich, dass du mich nu allens nachredest!« Worauf Tobias nur den Kopf geschüttelt
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