Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
Tinchen kommt, sobald sie die Kinder ins Bett gebracht hat«, beantwortete er die unausgesprochene Frage.
Die Tante fügte sich in das Unvermeidliche. Viel schien sich in Deutschland verändert zu haben, und das keineswegs zum Vorteil. Wenn sie früher ein Konzert besucht hatte, dann hatte sie ihren reservierten Platz gehabt, meistens dritte Reihe links in der Nähe des Notausgangs, und pünktlich um halb acht hatte es begonnen. Neun Uhr war wirklich sehr spät! Wann würde die Veranstaltung wohl zu Ende sein? Klärchen liebte Musik, aber bitte nicht um Mitternacht.
Florian kurvte durch die Heidelberger Innenstadt Richtung Bahnhof. »Am besten stellst du die Mühle da irgendwo in einer Seitenstraße ab und fragst dich zum Starlight durch«, hatte Rüdigers präzise Wegbeschreibung gelautet, »sind bloß ein paar Meter zu Fuß.«
Die mangelhafte Straßenbeleuchtung tauchte die Umgebung in schützendes Dunkel. Tante Klärchen sah weder die halb verfallenen Bauzäune noch die verlotterten Hinterhöfe, sie tastete sich vielmehr Schritt für Schritt über die kopfsteingepflasterte Straße vorwärts. »Merkwürdige Gegend für ein Konzertgebäude.«
»Ja, weißt du, Tante Klärchen«, begann Florian vorsichtig, »vielleicht hast du eine ganz falsche Vorstellung von Rüdigers Musik. Entsprechend seinem Alter schwärmt er natürlich fürs Moderne.«
»Das kann ich verstehen. Ich selbst habe zwar für die Zwölftöner nicht viel übrig, aber mein Geschmack ist letztendlich nicht ausschlaggebend.«
»Hoffentlich bleibst du auch bei dieser Meinung«, dachte Florian, während er seine Tante langsam auf die grellrote Tür zusteuerte, hinter der er das gesuchte Etablissement vermutete.
»Ist das der Bühneneingang?«
»So was Ähnliches«, murmelte er, die alte Dame vor sich herschiebend. Der tunnelähnliche Gang, mit Postern namhafter Interpreten der Rock- und Popszene bepflastert, endete er an einer weiteren Tür, neben der ein glatzköpfiger Jüngling saß und kassierte. Vor ihm stand ein Stuhl, darauf eine Zigarrenkiste, daneben lag ein Stempelkissen.
»Acht Mark pro Neese, heute ham wa Live-Sendung!«
Florian zückte einen Zwanzigeuroschein, spendete das Wechselgeld großzügig der Clubkasse und bekam einen extra schönen Stempelabdruck auf den Handrücken.
»Soll ick Ihnen die Eintrittskarte uff’n Handschuh stempeln, oder zieh’n Se die Futterale vorher aus?«
Tante Klärchen war zur Salzsäule erstarrt, und Florian beteuerte halblaut, dass seine Begleiterin wohl auf die übliche Legitimation verzichten könne. Sie würde ohnehin nicht lange bleiben.
»Kann ick ma denken«, grinste der Kahlkopf verständnisvoll, »ick jloobe sowieso, det Se sich valoofen hab’n. Det Altersheim is nämlich zwee Straßen weiter.«
Schnell schob Florian seine Tante durch die Schwingtür und quetschte sich hinterher. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten und er Einzelheiten erkennen konnte. Der Raum war relativ groß, die Bar an der gegenüberliegenden Wand relativ klein und dicht umlagert. Stühle gab es genug. Tische so gut wie gar nicht, sie hätten auch nur unnütz Platz weggenommen, denn was hier an Getränken konsumiert wurde, trank man wenn irgend möglich aus der Flasche. Trotzdem schien der Raum überfüllt. Jugendliche aller Altersstufen quirlten durcheinander, traten sich gegenseitig auf die Füße, begrüßten sie lautstark, johlten, quiekten und schienen sich bei dem allgemeinen Radau sehr wohl zu fühlen. Im Hintergrund stand jemand auf der Leiter und fummelte an einem Scheinwerfer herum. Spotlights schickten bunte Blitze in das Getümmel.
Zu Florians Überraschung nahm kaum jemand Notiz von ihnen; ein paar erstaunte Blicke streiften Tante Klärchen, zwei Teenager in voller Kriegsbemalung steckten tuschelnd die Köpfe zusammen und murmelten etwas von Mumienkonvent, aber sonst richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf das seitwärts stehende Podium, wo fünf junge Männer emsig werkelten. Einer stöpselte Kabel, ein anderer kämpfte mit dem Mikrofon, das dauernd aus der Halterung kippte, zwei schleppten einen Kasten Cola von einer Ecke in die andere und wurden sich nicht einig, wo er wohl am günstigen in Reichweite aller Bandmitglieder zu deponieren sei. Rüdiger schraubte an seiner Posaune herum und ließ die Spucke aus dem Mundstück tropfen.
»Wie unappetitlich!«, sagte Tante Klärchen. Es waren die ersten Worte, die sie seit Betreten der Disco von sich
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