Das Mädchen am Rio Paraíso
Nachhinein als weiterer Vorteil herausgestellt hatte – von einem Einbeinigen betrieben werden konnte.
Als ich wieder auf kultiviertem Gelände war und in einiger Entfernung die erleuchteten Fenster unseres Hauses erkennen konnte, sah ich, dass wir Besuch bekommen hatten. Das Pferdefuhrwerk der Schmidtbauers stand im Hof.
Ich ging schneller. Ich hob das Kinn und rüstete mich innerlich für die Begegnung. Sie sollten mich auf keinen Fall mit der Körperhaltung einer Versagerin sehen oder dem Ausdruck der Besiegten in den Augen. Zudem waren sie gewiss nicht gekommen, um sich unsere Klagen und Schicksalsschläge anzuhören. Wer sich am Abend noch zu einem Besuch bei den Nachbarn aufmachte, der brauchte normalerweise Hilfe. Und wir, die wir in letzter Zeit so viel Güte und Mildtätigkeit von unseren Nachbarn erfahren hatten, waren bestimmt die Letzten, die ihnen die Hilfe verweigern würden.
Ich war sehr gespannt, was die Schmidtbauers hierhergeführt hatte. Also trat ich forschen Schrittes über die Schwelle und versuchte eine Tatkraft auszustrahlen, die ich nicht im Geringsten verspürte. Die beiden Männer saßen am Küchentisch, während Agathe einen Kessel mit Wasser aufsetzte. Alle hielten inne, als ich eintrat. Sie starrten mich an, als hätte ich sie nicht alle beisammen. Erst da ging mir auf, dass ich noch die Heugabel trug. Ich musste einen grauslichen Anblick geboten haben, verschwitzt, zerzaust und mit der bewusst herbeigeführten wilden Entschlossenheit in den Augen. Wie eine Irre, schoss es mir durch den Kopf.
»Da seht ihr’s selber«, sagte Hannes, traurig den Kopf schüttelnd.
Was ging hier vor sich? Was hatte Hannes den Schmidtbauers erzählt?
»Guten Abend. Schön, euch zu sehen«, sagte ich, als ob nichts gewesen wäre. »Was führt euch um diese Zeit hierher? Hoffentlich nichts Schlimmes?«
»Ach, Klärchen!«, schluchzte Agathe und warf sich in meine Arme, was in mir augenblicklich das Bedürfnis weckte, ebenfalls loszuheulen.
»Was? Was ist denn, um Gottes willen?«
»Die Antonia … die Antonia …« Weiter kam sie nicht.
Wilhelm sprach für sie weiter. »Unsere Tochter ist in anderen Umständen. Sie will uns aber nicht sagen, wer der Kerl ist, der ihr das angetan hat. Und heute Abend ist sie nicht daheim aufgetaucht. Ihre wichtigsten Sachen sind auch fort.«
»Willi«, schluchzte Agathe auf, »glaubt, es ist der Friedhelm.«
Es versetzte mir einen kleinen Stich.
»Und was wollt ihr dann hier? Ich meine, hier ist die Antonia ganz bestimmt nicht. Ganz zu schweigen vom Friedhelm.«
»Wir wollten euch bitten mitzukommen«, erklärte Agathe. »Damit wir den Friedhelm vor Zeugen zur Rede stellen können. Und damit du«, hier sah sie mich an, »der Antonia ins Gewissen reden kannst. Auf dich hört sie eher als auf uns. Du bist ja kaum älter als sie.«
»Aber«, fügte Wilhelm hinzu, »wir kommen anscheinend ungelegen.« Er warf seiner Frau einen vielsagenden Blick zu, bevor er mich von Kopf bis Fuß musterte.
»Ich bin einem Dieb nachgerannt. Er hat unsere Sau gestohlen.« Ich glaubte, meinen Aufzug entschuldigen zu müssen. Dabei hatte Hannes ihnen doch sicher schon erzählt, was sich hier gerade eben zugetragen hatte.
»Ah«, meinte Agathe und betrachtete den Boden.
»Hm«, machte Wilhelm und schaute Hannes zweifelnd an.
»Glaubt ihr mir jetzt?« Hannes sah unsere Nachbarn triumphierend an.
Die beiden senkten betreten den Blick.
Wenn ich dieses unfassbare Verhalten nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Was fiel Hannes ein? Und was meinte er bloß? Was hatte er den beiden für eine Geschichte aufgetischt?
Am schlimmsten von allem aber fand ich Hannes’ Ton. In seiner Stimme hatte eindeutig der blödsinnige Stolz mitgeschwungen, recht behalten zu haben. Als freue er sich über seine schwache, wenn nicht gar schwachsinnige Frau.
Ich ließ die Heugabel mit einem Poltern zu Boden fallen und verließ die Stube ohne einen Abschiedsgruß.
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39
T eresa behielt – natürlich – recht. Immerzu hatte sie den Haussklaven gepredigt, sie sollten nicht so ungestüm die Treppe hinunterlaufen und dabei am Treppengeländer rütteln. Unermüdlich hatte sie Senhor Raúl auf die Gefahr hingewiesen, der sich über ihre Vorsicht lustig gemacht hatte. Irgendwann hatte sie sogar eigenmächtig einen Handwerker aus Santa Margarida bestellt, der jedoch wegen einer vermeintlichen Krankheit nie erschienen war. Krankheit – der Suff war
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