Das Mädchen Ariela
»Warum gibt es ihn auf dieser Welt? Warum mußtest gerade du ihm begegnen? Warum kann er nicht sterben … jetzt, sofort. Warum müssen wir mit ihm krepieren? So weit geht die Treue nicht! Das hat nichts mehr mit Ehre oder Nächstenliebe zu tun!« Er riß Ariela an sich und drückte ihren Kopf an seine Brust.
»Du kannst ihn erschießen«, sagte Ariela leise. »Ich erlaube es dir, Moshe … Und dann werde ich mich neben ihn legen und die Pistole nehmen …«
»Sprich nicht weiter!« schrie Rishon. »Kein Wort mehr! Kein Wort mehr!« Er schob Ariela von sich und band mit bebenden Fingern die Schnüre weiter zu. »Ich trage ihn … ich werde ihn tragen, solange ich noch kriechen kann …«
Aber mitten in der Nacht, nach lächerlichen tausend Metern, war es vorbei. Rishon lag im Sand, die Arme von sich gestreckt, und weinte vor Erschöpfung und Qual, über ihm der schwere Körper des deutschen Arztes.
Ariela schnallte ihn von Rishon los. Dann gab sie Rishon zu trinken. Sie saß zwischen den beiden ausgestreckt liegenden Männern und starrte in den sternenübersäten Nachthimmel.
Sie schrak auf, als sie plötzlich Rishons Stimme hörte.
»Du hast recht«, sagte er. »Ich muß allein gehen. Ich kann es in zwei Tagen schaffen und hole euch mit einem Hubschrauber heraus. So wie jetzt hat es keinen Sinn mehr.«
Sie ruhten sich noch etwas aus, dann schleppten sie Schumann und das Gepäck in eine nahe Geröllmulde. Dort baute Ariela das Zelt wieder auf, kochte Tee und wusch Schumann das Gesicht und die Mundhöhle. Es schien ihr, als habe das Fieber nachgelassen, sein Puls jagte nicht mehr so wild, und als sie mit der Taschenlampe in seinen Mund leuchtete, war die bläuliche Färbung fast verschwunden.
»Es geht ihm besser!« schrie Ariela und fiel Rishon um den Hals. »Er wird weiterleben! Moshe, er wird gesund werden …« Sie küßte Rishon, lief zurück zu Schumann und warf sich neben ihm auf die sandige Decke. Sie rief seinen Namen und streichelte ihn. Die Ohnmacht hielt noch an, doch sein Atem ging ruhiger.
Die Sonne stand schon hoch, als sie aus einem tiefen Schlaf der Er schöpfung erwachte. Sie waren allein. Rishon war gegangen – sie hatte es nicht gemerkt. Er hatte bis auf eine Feldflasche den ganzen Wasservorrat dagelassen, selbst die Maschinenpistole lag neben ihr mit dem Sack voller Magazine. Dafür fehlte ihre Pistole.
Ariela sprang auf und lief ein paar Meter bis zu einer Steinsäule, die verwittert war und zerfressen von Millionen Winden aus den Wüstenbergen. Von hier konnte sie eine weite Strecke der Senke überblicken, die sich hinzog bis zum Toten Meer und zum Wadi von Ain Khaukhan. Aber der Morgenwind hatte Rishons Spuren im Sand schon verwischt.
Ariela ging zurück zum Zelt. Sie seufzte, umfaßte Schumanns Kopf und küßte seine aufgesprungenen Lippen, als er plötzlich die Augen öffnete und sie mit großen Augen klar ansah.
»Wo sind wir?« sagte er leise und tastete nach ihrem Kopf.
»An der Pforte des Himmels«, antwortete sie.
Da lächelte er, schloß wieder die Augen und streckte sich aus.
Mit gefalteten Händen sah Ariela, wie Blut in sein fahles Gesicht stieg und das Leben mit jedem Pulsschlag zurückkehrte.
Wer sagt, daß es keine Wunder mehr gibt?
Nach drei Tagen erreichte Moshe Rishon die Grenze in der Salz wüste von Ghor Feifa. Er hatte einen Umweg um Safi machen müs sen, weil dort jordanisches Militär lag und Panzereinheiten auffuh ren.
Wie ein Gespenst taumelte er durch die Wüste, aber er hatte noch die Kraft, einen einsamen jordanischen Jeep, der Patrouille fuhr und in dem zwei Unteroffiziere der Hussein-Armee saßen, anzuhalten und die Verblüfften mit zwei Schüssen aus Arielas Pistole zu verwunden. Er setzte sie in den Sand, legte ihnen Verbände an, die er im Sanitätskasten des Jeeps fand, ließ ihnen einen Kanister Wasser da und schüttete sich einen ganzen Kanister über den Kopf. Es war ein Genuß, der nach drei Tagen Wüstenwanderung ungeahnte neue Kräfte schenkte.
Dann setzte er sich in den Jeep und fuhr los, der Grenze entgegen. Als er von weitem die ersten Stacheldrahtzäune sah, dahinter eine Zeltstadt und an hohen Masten die wehenden Fahnen Israels mit dem blauen Davidstern, jauchzte er laut, zog seinen zerfetzten Burnus aus und ließ ihn wie eine weiße Fahne am ausgestreckten Arm im Zugwind wehen.
Zweihundert Meter vor dem Zaun ließ er das Steuerrad los – der Jeep fuhr von selbst geradeaus – und winkte mit beiden Armen. Er stellte sich auf und
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