Das Mädchen auf den Klippen (German Edition)
gleichzeitig, ob sie denn überhaupt schon wieder Gefallen daran finden durfte, mit einem Mann zusammen zu sein. Auch wenn es nicht Liebe war, was sie für Walter Thornberry empfand, sondern nur Freundschaft, zwischen ihnen herrschte eine Vertrautheit, die sie e rschreckte.
Der Morgen zog bereits auf, als Janice endlich einschlief, aber selbst in ihre Träume hinein begleitete sie die Frage, ob sie sich nicht schuldig mac hte.
„Es ist so schön hier“, glaubte sie mit einem Mal David sagen zu hören.
„Meine Eltern haben überlegt, ob sie nicht für ständig nach Cornwall ziehen sollten“, antwortete eine Mädchenstimme. „Weißt du, wir haben nur über die warmen Monate hier gelebt. Hier hat mein Daddy viel besser arbeiten können, als in London.“
„Meine Eltern wollten sich auch ein Haus in Cornwall kaufen. Sie...“
Janice stand leise auf. Barfuss schlich sie sich zum Fenster. Zuerst hatte sie geglaubt, die Stimmen der beiden Kinder im Traum zu hören, nur es war kein Traum. Die Stimmen kamen aus dem Garten.
Das Fenster stand auf. Sie stützte sich auf das Fensterbrett und spähte nach draußen. Noch immer unterhielten sich die Kinder miteinander. Sie konnte nur ihre Stimmen hören, sie nicht sehen.
Es war Davids Stimme, da war sich die junge Frau ganz sicher. Nur Mühe gelang es ihr, sich zu beherrschen und nicht nach ihm zu rufen. Sie hatte Angst, dass er dann verstummen würde.
So leise es ging, verließ sie das Zimmer und schlich zur Treppe. Stufe, um Stufe stieg Janice sie hinunter und wandte sich dem Wohnzimmer zu. Fast lautlos öffnete sie dessen Tür.
Als sie das Zimmer betrat, sah sie draußen auf der Terrasse die Silhouette zweier Kinder. Eines davon war ihr Sohn, daran gab es keinen Zweifel. Sie legte die Hand auf ihren Mund, um nicht aufzuschreien.
Die Kinder wirkten so vertraut miteinander, doch da die Tür geschlossen war, konnte sie nicht verstehen, über was sie sprachen. Janice wagte es kaum zu atmen. Erst nach einer Weile schaffte sie es, ein paar Schritte auf die Terrassentür zuzum achen.
David, dachte sie und streckte die Arme nach ihm aus, um sie gleich darauf sinken zu lassen. David war tot, das durfte sie nicht vergessen. Und doch, er stand draußen auf der Terrasse und hatte den Arm um die Schultern eines etwa gleichaltrigen Mädchens gelegt.
Die Kinder stiegen die Terrassenstufen hinunter und wandten sich der Mauer am Felsabsturz zu. Bevor sie ihn erreichten, drehte sich David um. Janice kam es vor, als würde er sie direkt ansehen, dann hob er die Hand und winkte.
Die junge Frau konnte sich nicht länger beherrschen. Sie riss die Terrassentür auf. Im selben Moment verblasste die Silhouette der Kinder und löste sich auf.
„David!“ Janice stürzte auf die Terrasse und von dort in den Garten. Sie spürte nicht einmal, wie sich die Kieselsteine des Weges in ihre bloßen Füße bohrten und sie spürte auch nicht den kalten Wind, der ihre Haut streifte und ihr Nachthemd ergriff. Sie rannte zur Mauer, schaute zum Strand hinunter und blickte über das dunkle Meer.
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die junge Frau bewusst wurde, dass sie nur ein Nachthemd trug und fror. Sie drehte sich um und kehrte ins Haus zurück. Alle paar Schritte blieb sie stehen, weil sich die Kiesel schmerzhaft in ihre Haut boh rten.
In die dicke, wollene Jacke gehüllt, die an der Garderobe gehangen hatte, ging Janice in die Küche und brühte sich eine Tasse Tee auf. Mit dem heißen Tee stieg sie die Treppe zu ihrem Schlafzi mmer hinauf. Sie hatte Mühe, den Tee nicht zu verschütten, weil ihre Hände so zitterten. Allerdings wusste sie nicht, ob vor Kälte oder weil sie innerlich so aufgewühlt war.
Janice setzte sich in ihr Bett und wickelte die Decke um sich. Noch immer trug sie die dicke Jacke. Während sie langsam ihren Tee trank, dachte sie über die letzte halbe Stunde nach. Sie war sich plötzlich nicht mehr völlig sicher, ob sie sich die Stimmen und die beiden Kinder nicht doch eingebildet hatte. – Falls ihr die Phantasie nicht etwas vorgegaukelt hatte, musste es etwas bedeuten, dass David und dieses kleine Mädchen zusammen waren. Nur was? – Maureen lebte! Und warum begegnete ihr die Kleine i mmer wieder? Und dann diese Sache mit der Puppe.
Janice sah ein, dass sie in dieser Nacht keine Lösung finden würde. Sie stellte die leere Tasse auf ihren Nachttisch und löschte das Licht. Verzweifelt bemühte sie sich, nicht an die beiden Kinder zu denken, es gelang ihr nicht.
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