Das Mädchen auf den Klippen (German Edition)
erneut st ehen.
„Schau, hier hast du früher gewohnt, als du noch ein kleines Mädchen gewesen bist, Maureen.“ Janice wies ins Haus. „Also, gehen wir hinein.“
Maureen betrat den Korridor. Ihre Augen waren starr geradeaus gerichtet. Sie schien sich für ihre Umgebung überhaupt nicht zu interessieren. Als Janice sie ins Wohnzimmer brachte, wo ein Bild ihres Vaters hing, glitten ihre Augen teilnahmslos darüber hinweg.
„Setz dich erst einmal“, bat Janice und führte sie zu einem der Sessel, die in der Nähe der Terrassentür standen. Nachdem sich Maureen hingesetzt hatte, öffnete sie die Tür und ließ frische Luft herein. „Ich mache dir rasch eine kalte Schokolade.“ Sie lächelte dem Mädchen zu. „Ich bin gleich zurück“, versprach sie und zeigte in die Richtung der Küche. „Und wenn wir etwas getrunken haben, holen wir unser Gepäck.“
Maureen starrte auf ihre im Schoß gefalteten Hände.
Auch Rom ist nicht an einem Tag erbaut worden, dachte die junge Frau und ging in die Küche, um sich um die Schokolade zu kümmern. Gerade als sie die Gläser ins Wohnzimmer tragen wollte, klingelte das Telefon. Sie kehrte um und nahm in der Küche den Hörer ab.
„Ich wollte nur wissen, ob ihr schon da seit“, sagte Walter Thornberry, nachdem sie einen Gruß gewechselt hatten.
„Wir sind vor wenigen Minuten gekommen, Walter.“ Janice freute sich über seinen Anruf. Sie berichtete ihm, von der Fahrt nach Cornwall. „Ich muss ihr Zeit lassen. Vermutlich ist das alles sehr verwirrend für sie. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie jahrelang nicht aus dem Heim herausgekommen ist.“
„Erwarte nicht zu viel“, bat er. „Es könnte durchaus sein, dass sich überhaupt nichts ändern wird.“
„Keine Angst, ich bin auf alles gefasst“, versprach sie. „Ich muss Maureen am Montag ins Heim zurückbringen. Meinst du nicht, dass du am Wochenende mit einem Kollegen tauschen könntest?“
„Ich werde es auf jeden Fall versuchen“, versprach er. „So, und jetzt solltest du dich um deinen Gast kümmern.“
„Ja, ich habe Maureen kalte Schokolade versprochen“, sagte Janice.
„Alles Gute“, wünschte ihr Walter. „Ich rufe dich morgen an.“
Sie wechselten noch ein paar Worte miteinander, dann legte Janice auf. Tief in Gedanken griff sie nach dem Tablett, auf das sie die Gläser mit der kalten Schokolade gestellt hatte, und trug es ins Wohnzimmer. „So, Ma ureen, jetzt...“
Das Mädchen saß nicht mehr in seinem Sessel. Es befand sich überhaupt nicht im Wohnzimmer.
Janice stellte erschrocken das Tablett ab. Sie machte sich Vorwürfe, die Terrassentür offen gelassen zu haben. Wie hätte sie jedoch auch damit rechnen können, dass Maureen etwas von sich aus tat.
„Maureen!“, rief sie und rannte auf die Terrasse hinaus. „Maureen, wo bist du?“ Sie eilte zu der Mauer, die den Garten zum Felsabsturz hin abgrenzte. Ihr wurde ganz kalt vor Angst. Hoffentlich hatte sich Maureen nicht zu tief über die Mauer gebeugt.
Bei der Mauer gab es nicht den geringsten Hinweis, dass das Mädchen hier gewesen sein konnte. Vielleicht war Maureen auch nicht in den Garten gelaufen, sondern hatte sich an ihr Zimmer erinnert.
Janice kehrte ins Haus zurück. Sie wollte schon die Treppe hinaufsteigen, als sie aus dem Atelier ein Geräusch hörte. Hastig riss sie die Tür auf. „Maureen“, sagte sie erleichtert, als sie ihren Schüt zling sah. Die Fünfzehnjährige stand vor dem Bild, das sie von dem Kind am Strand gemalt hatte.
Langsam ging sie auf sie zu. „Kennst du das kleine Mädchen?“, fragte sie und legte behutsam den Arm um Maureens Schultern. „Es ist ein gutes Zeichen, dass du den Weg ins Atelier gefunden hast. Du bist bestimmt oft bei deinem Vater gesessen, wenn er gemalt oder gezeichnet hat.“ Liebevoll strich sie ihr durch die halblangen, blo nden Haare.
Maureen hob langsam den Arm. Wie in Zeitlupe streckte sie den Zeigefinger zu dem Kind auf dem Bild aus, aber sie berührte nicht das Kind, sondern dessen Puppe.
„Ist das deine Puppe?“, fragte Janice atemlos. „Kennst du diese Puppe?“
Maureen ließ die Hand sinken.
Die junge Frau dachte nach, dann ging sie zu dem Schrank, der am anderen Ende des Ateliers stand, öffnete ihn und nahm einen Karton heraus. Zögernd öffnete sie ihn. Ihre Hand ergriff die zerlumpte Puppe, die sie in der Höhle gefunden und inzwischen hier verstaut hatte. „Maureen, schau“, sagte sie und hielt ihr die Puppe entgegen.
Maureen machte unsicher
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