Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
wäre er von Bernau bis nach Berlin gerannt.
Das Mädchen war mitnichten zwölf, sondern volle achtzehn Jahre alt. Es hieß Gretlin, und nachdem es sich einmal den Frosch des langen Schweigens aus dem Hals gehustet hatte, sprudelten Worte aus ihm wie Schaum aus einem Gärfass.
»Di-ta denkt, weil ich nicht sprech, bin ich dumm wie Bohnenstroh«, sagte sie. »Aber ich bin ein Brandenburger Gör, nicht weniger als er. Meine freche Gosch hab ich allemal, meine Ohren taugen auch, und mein Bett steht über dem lautesten Schankraum in der ganzen Mark. Mir entgeht nicht, was die Leute schwatzen, und dass Di-ta kein vornehmer Händler, sondern ein Habenichts ist, weiß ich seit dem ersten Tag. Was denkt der sich denn? Dass ein Mädchen auf einem Hof in der Neumark noch nie einen Händler zu Gesicht bekommen hat?«
»Es ist sehr nett von dir, dass du Diether helfen willst, obwohl er dich nach Strich und Faden belogen hat«, sagte Magda, denn als Erstes hatte Gretlin ihnen von dem unfasslichen Verbrechen erzählt, das auf dem Neuen Markt geschehen war.
»Aber wo denn!«, rief Gretlin und schlug ihre winzige Faust auf den Tisch. »Ich lieb doch den Di-ta! Er mag ja ein Schwindler und ein Aufschneider sein, weil er von sich selbst nichts hält, aber innen drin hat er ein Herz aus Butter. Wie er für mich den Helden spielen will, obwohl er selbst vor Angst schlottert, das bringt Eisen zum Schmelzen. Hätt ich den Di-ta nicht gehabt, wär ich jetzt immer noch stumm und würde mir die Seele aus dem Leib schreien, sobald mir ein Mann nur nahe kommt. Dafür lieb ich meinen Di-ta, solange ich lebe, und dass sie ihn mir quälen und totmachen, lass ich nicht zu.«
Ich auch nicht, dachte Magda, obgleich sie nicht wusste, wie sie ihrem Bruder noch helfen sollte. Denn leider hatte Gretlin in ihrer hellhörigen Kammer noch mehr mitbekommen als nur die Wahrheit über Diethers Aufschneidereien. »In der Rippe logiert ja Volk von überall«, erzählte sie. »Und aus Bernau waren auch mal welche da, vor nicht ganz zwei Wochen, eine Handvoll Kerle, die hier Getreide kaufen wollten. Einer von denen war Brauer wie Ihr.«
»Wie du«, verbesserte Magda. »Bitte erzähl mir nicht, der Mann hieß Linhart von der Mauer.«
»So hieß er«, bestätigte Gretlin. »Wie das Gespräch auf Di-ta kam, weiß ich nicht, gewiss hat wieder der Wirt über ihn geschimpft. Und dieser Herr von der Mauer hat mitgeschimpft, aber nicht, wie es in einer Schänke eben geht, wo einer über den andern herzieht, sondern so, dass mir in meiner Kammer das Herz stillstand. Er hat gesagt, Di-ta ist ein Mörder, er hat seinen eigenen Vater und seinen Schwager abgestochen wie Schweine zum Schlachten.«
Das Mädchen war blass und holte schnappend Luft, doch gleich fing es sich wieder und sprach weiter. »Und eine Wendin, die spurlos verschwunden ist, die hat Di-ta gemetzelt und im Moor versenkt, hat dieser Kerl mit seinem schlimmen Mund gesagt.«
»Beim Herrgott – Worša?«
Gretlin nickte. »In Bernau weiß das jeder, hat er behauptet, und Di-ta haben sie nur laufen lassen, weil sie Mitleid mit seinem Großvater hatten. Und weil sein Bruder geschworen hat, dass er ihn wegbringt aus Bernau, dass er achtgibt und Di-ta die Stadt Bernau nicht mehr betritt.«
»Sein Bruder soll das versprochen haben?«, fragte Magda.
Gretlin nickte. »Das hat alles dieser Linhart erzählt. Meine Schwester hat gesagt, sie will es Di-ta weitersagen, aber ich hab’s ihr verboten. Ich wollt nicht, dass Di-ta denkt, ich höre auf solche Maulzerreißer, die andere mit ihrem Dreck bewerfen.«
»Und es hat dich gar nicht gezwickt?«, fuhr der Großvater ungläubig dazwischen. »Ob nicht doch ein Körnchen Wahrheit dran ist, das hat dich nicht umgetrieben, nicht mal, wenn du nachts allein in deinem Bett gelegen hast?«
»Nein, warum denn?«, fragte Gretlin. »Wenn eine fremd ist und einen dicken Bauch hat, dann wird über sie geredet, dass sie eine Hure ist. Kein Mensch wird sie fragen: Hast du aus freiem Willen bei dem gelegen, der dir das Balg gemacht hat? Oder hat er dir wehgetan, hat er dir den Hals zugedrückt und gesagt, er bringt dich um, wenn du ihm nicht zu Willen bist? Sie ist eine Hure, sie wird mit Hieben aus der Stadt gejagt und damit Schluss. Aber Di-ta ist anders. Für Di-ta war ich keine Hure, sondern seine Goldene. Jetzt mach ich’s genauso für ihn. Er ist mein Liebster, und auf das, was geredet wird, geb ich nichts.«
Magda ertappte sich dabei, wie sie ihr auf den Bauch
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