Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
nicht mehr. Er hatte sich auf seinem Speicher erhängt.
Er hatte sich Geld geliehen, um Getreide zu kaufen, doch nicht nur die Mönche aus Chorin, sondern auch die Harzers boten ihr Bier weit billiger an und zerstörten ihm damit den Preis. Das geliehene Geld hatte er nicht zurückzahlen können, sodass ihm mit seinen siebzig Jahren der Schuldturm drohte. Vor der Schande war er in den Tod geflohen. Ein christliches Begräbnis in geweihter Erde blieb ihm ebenso verwehrt wie der Weg in Gottes Reich des Friedens. Wer nicht mit dem Segen der Kirche bestattet wurde, war so übel dran wie ein Ungetaufter. Im Morgennebel, hinter der Friedhofsmauer, wurde der alte Linhart verscharrt, und sein Sohn erbte nichts als leere Kammern und Kassen.
Die Angst, die in Magda wühlte, legte sich tagelang nicht. Sie hatte Linharts Hass gespürt und war sicher, er würde nicht ruhen, ehe er sich an Diether und Endres gerächt hatte. Stell dich nicht an, schalt sie sich, hab lieber Mitleid mit dem armen Linhart, den solch ein grausames Schicksal getroffen hat. Viel half es nicht. Gern hätte sie mit jemandem darüber gesprochen, aber mit wem? Mit Diether, der ihr seit der Szene mit Linhart grollte, mit Endres, der mit seiner Zukunft genug eigene Sorgen hatte, oder mit Alheyt, mit der sich besser albern ließ als reden? Am Ende gab sie es ganz auf, weil es ihr auf einmal unmöglich schien, die Worte auszusprechen: Ich sehe den Tod voraus. Ich träume von denen, deren Zeit gekommen ist.
Es war ja Unsinn, klang, als wollte sie sich wichtigmachen. Wer war sie schon? Magda Harzer aus Bernau, ein gewöhnliches Mädchen, das besser machte, dass es an seine Arbeit kam. Nach ein paar Tagen beruhigte sie sich. Neue Unwetter verwüsteten die Felder, und es gab eine Hochzeit auszurichten, da blieb ihr zum Grübeln keine Zeit.
Lentz und Alheyt heirateten schneller als erwartet, und ein paar Wochen später sah man schon den Grund. Alheyt lachte darüber: »Ja, ich weiß, mein Lentz kommt daher, als könnte er kein Wässerchen trüben – aber ich bin längst trübe wie ein Moorsee, und zur Weihnacht schlüpft ein kleines Moorhuhn aus!«
Sie lachte über alles und jeden, nahm das Leben leicht und freute sich daran. Das, was im Land geschah, der Streit zwischen König und Papst, der sich zuspitzte, das Wetter, das immer übler wurde, und das Brauverbot, das von Neuem drohte, kümmerten sie nicht. »So arg wird’s schon nicht kommen«, lautete ihr Lieblingsausspruch, und weil sie so fest daran glaubte, tat Magda es auch.
Wann kam es denn je so arg, wie man es sich in düsteren Augenblicken ausmalte?
Der junge Linhart zum Beispiel kam mit einem blauen Auge davon: Er musste seinen Ausschank hergeben, um die Gläubiger zu beschwichtigen, doch die Zunft half ihm aus, sodass er seine Brauerei behalten konnte. Wenn er es schafft, sich auf die Füße zu rappeln, dachte Magda, dann wird er Diether und Endres nicht länger mit seinem Hass verfolgen. Und sie selbst würde wieder durch ihre Stadt laufen können, ohne bei jedem Laut zusammenzuzucken und sich umzudrehen.
Endres war noch immer nicht auf dem Weg. Einmal fragte sie ihn, ob er nicht bald zum Aufbruch rüsten müsse, denn das bisschen Korn, das die Stürme überlebt hatte, stand schon gelb und reif, die Tage wurden kürzer, und der Sommer würde nicht mehr lange bleiben. »Wie kann ich denn gehen?«, erwiderte Endres gequält. »Diether ist friedloser und getriebener denn je. Mit deinem Großvater spricht er seit der Verlobung kein Wort mehr, neuerdings hat er sich obendrein mit Utz verzankt, und von diesem Mädchen, der Worša, lässt er nicht.«
Martha hätte sich Sorgen um ihren Bruder und um ihre und Endres’ Zukunft machen sollen, doch für den Augenblick hielt sie es mit Alheyt: Sie freute sich, Endres im Winter noch bei sich zu haben, und so arg würde es schon nicht kommen.
Alheyts Leib wölbte sich bald so mächtig über ihren schlanken Beinen, dass sie nurmehr unter Schmerzen gehen konnte. Es wurde Herbst, die Ernte fiel noch kümmerlicher aus als im Vorjahr. König Ludwig ernannte für seinen Sohn den Grafen von Henneberg, eine schlaffe Marionette, zum Regenten und ließ ihn für die Mark erneut ein Brauverbot aussprechen. Utz hatte mithilfe von Alheyts Mitgift den Sommer über an Getreide aufgekauft, was zu bekommen war. Die Speicher waren bis zum Bersten voll mit Hafer, Gerste, Roggen und sogar Weizen, doch jetzt durfte er nichts davon verbrauen.
Zum ersten Mal hörte Magda Utz, der
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