Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
wenn ich ihm erzähle, dass sich die Laus in seinem Pelz an seiner Enkelin vergreift? Aus dem Haus jagen würde er den Kerl, und dafür ist’s auch längst an der Zeit. Ich denke, ich werde wohl nachher noch zu euch kommen und mit Großvater Harzer sprechen. Wir Bierbrauer müssen schließlich zusammenhalten, in diesen üblen Zeiten mehr denn je.«
»Endres und ich sind verlobt!«, rief Magda. Wie so oft raubten Tränen des Zorns ihr die Sicht. »Der Großvater hat seine Freude daran. Wenn Endres von der Wanderschaft heimkehrt, heiraten wir.«
Warum nur war das nicht die Wahrheit, warum hatte Endres noch immer nicht mit dem Großvater geredet? Magda hörte Linhart lachen und sah durch Tränenschleier, wie er die Hand nach ihr ausstreckte. »Und du nimmst ernsthaft an, dass ich dir diesen Unsinn glaube? Seit wann heiratet eine propere Brauerstochter aus Bernau denn einen Bettelmann?«
Magda wich zurück. Dabei glitt sie auf dem schlammigen Boden aus und stürzte hintüber in den Dreck. Während der Schmerz sich ihr in Schulter und Hüfte bohrte, vernahm sie das Knacken, mit dem die Eier zerbrachen. Sämiges Goldgelb vermischte sich mit dem Schwarzbraun des Schlamms.
»Du gottverfluchtes Schwein! Fass meine Schwester noch einmal an, und du hast mein Torfmesser im Bauch!«
Magda hatte nicht gesehen, woher Diether auf einmal aufgetaucht war, doch sie hörte den dumpfen Schlag, mit dem seine Faust auf Linharts Wangenknochen landete. Der schrie auf und ging wie ein Sack zu Boden. Mit einem wütenden Fauchen warf Diether sich über ihn.
Sie wollte sich aufrappeln, doch der Schmerz in ihrer Hüfte warf sie zurück. Eine Hand streckte sich ihr entgegen und half ihr in die Höhe. Endres. Seit Lentz’ Verlobungsfeier schien er überall dort zu sein, wo Diether war. »Du hättest das nicht sagen dürfen«, wisperte er so leise, dass keiner der anderen ihn hören konnte. »Das von dir und mir – dass wir heiraten wollen.«
»Beim Herrgott, ist jetzt die Zeit, mir Moral zu predigen?«, platzte Magda heraus. Linhart hatte inzwischen Diether niedergerungen und hieb seinen Kopf wie einen Schlegel auf den Weg.
Traurig schüttelte Endres den Kopf. »Nein. Natürlich nicht.« Mit zwei Schritten, die sonderbar müde wirkten, trat er hinter die Ringenden und packte Linhart bei der Schulter. Er war kein Kämpfer. Linhart fuhr auf und streckte ihn mit einem einzigen Fausthieb nieder. Den Moment der Ablenkung machte sich jedoch Diether zu Nutzen, stemmte sich hoch und bog Linhart die Arme auf den Rücken. Endres, dem die Lippe blutete, kämpfte sich auf die Füße, und zu zweit hatten sie ihren Gegner binnen kurzer Zeit überwältigt.
»Lass gut sein«, sagte Endres und hielt Diether, der Linhart ins Gesicht schlagen wollte, zurück. »Wir haben alle genug. Geh nach Hause, Linhart. Vergessen wir, was hier geschehen ist, und stoßen irgendwann mit einem Bier darauf an.« Das Anstoßen mit Bierkrügen war ein uraltes Zeichen des Vertrauens. Schaum und Saft schwappten dabei von einem Krug in den anderen, und somit bewies man einander, dass man von seinem Gegenüber weder Gift noch sonst eine Tücke fürchtete.
»Ich mit dir anstoßen?«, keifte Linhart und spuckte vor Endres aus. »Eher sauf ich mein Bier mit dem Teufel. Den da«, er wies mit dem Kopf auf Diether, »den erkenne ich zumindest als Gegner an, aber du bist nichts. Dein Vater war ein Schuldenmacher, und du bist keiner von uns. Zu den Klosterbrüdern hättest du gehört, in die Waisenpflege, und auf unsere Mädchen hast du kein Recht!«
»Lass ihn.« Noch einmal hinderte Endres Diether daran, zuzuschlagen. »Kümmern wir uns lieber um deine Schwester.«
Magda stand inzwischen wieder halbwegs sicher auf ihren zwei Beinen, auch wenn sich in ihrer Hüfte eine glühende Klinge zu drehen schien. Als Endres ihr den Arm bot, schob sie ihn weg, ohne recht zu wissen, warum. Diether warf Linhart noch einen höchst unfeinen Fluch hinterher, dann trotteten sie zu dritt ihres Weges.
Tage später träumte Magda von Linharts Vater, dem alten Linhart. An der Hand der weißgesichtigen Mutter kam er in ihre Kammer und vollführte eine vornehme Verbeugung. »Ich entbiete dir meinen Gruß zum Abschied, Magdalen«, sagte er, obwohl sie im Leben höchstens eine Handvoll Worte mit ihm gewechselt hatte. Dieses Mal befiel Magda im Erwachen eine Angst, die sie den Tag über nicht abschütteln konnte, und am Abend jagte die Nachricht wie ein Lauffeuer durch die Stadt: Der alte Linhart lebte
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