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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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seid?«
    Fornicatio, Luxuria, Intemperantia, hallte es durch seinen Schädel. Die Worte geißelten ihn schärfer als die metallverstärkten Ruten und rissen tiefere Wunden in sein Fleisch. Fornicatio. Luxuria. Intemperantia. Hurerei. Unkeuschheit. Triebhafte Zügellosigkeit. »Für Unzucht«, stieß er hervor. Dann hallte das schlimmste der Worte hinterdrein: Violatio! »Notzucht«, verbesserte er, ehe ihn der Ekel vor sich selbst übermannte.
    Er glaubte zu spüren, wie die Hände sich von seinen Schultern lösten, glaubte zu hören, wie der Gottesmann vor Entsetzen ächzte. Ein letztes Mal zwang er sich ein wenig Kraft ab und stand auf. Er hatte sich anspucken lassen, und was immer Demut bedeutete, er konnte es nicht noch einmal tun.
    »Aber nicht doch, seid nicht töricht. Bleibt hier sitzen, bis ich besser für Euch sorgen kann.« Das schmächtige Mönchlein drückte Thomas’ stattlichen Körper leichthin zurück auf den Schemel. Dann hob er die Hand und berührte Thomas’ Kopfhaut, unter der Trommelwirbel zu toben schienen. Die Hand schreckte nicht zurück, sondern strich, wie um ihm Zärtlichkeit zu erweisen, über den widerlichen Schorf und Grind. »Wie brutal«, sagte er geradezu traurig. »Hier bei uns schert man Euch das Haar erst, wenn Euer Postulat vorüber ist und Ihr selbst den Wunsch danach äußert. Und glaubt mir, wir werden uns alle Mühe geben, Euch dabei keinen Schmerz zuzufügen.«
    Das Gefühl, das Thomas ansprang, war ihm gänzlich fremd. Der Wunsch, sich fallen zu lassen, die gewohnte Stärke aufzugeben und sich dem Schutz eines anderen anzuvertrauen. Mit schwindenden Sinnen kämpfte er dagegen an. »Ich verstehe, dass Ihr mich als Postulanten nicht aufzunehmen wünscht«, sagte er. »Eure Zeit möchte ich daher nicht länger in Anspruch nehmen.« Damit wollte er aufstehen und mit schwingendem Surcot den Raum verlassen, wie er es Hunderte von Malen getan hatte, doch seine Kraft ließ ihn im Stich. Der sachte Druck, der von den Händen des Paters ausging, genügte, um ihn niederzuhalten.
    »Du bist so gut wie Berliner, nicht wahr?«, fragte Pater Martinus. »Also sprechen wir auch wie Berliner: Halt deinen Schnabel, mein Junge! Am liebsten würde ich dir hier und jetzt eine Schüssel Grütze einzwingen, doch ich fürchte, selbst dazu wärst du nicht mehr kräftig genug.«
    »Ihr lasst mich bleiben? Trotz allem, was Ihr jetzt von mir wisst?«
    »Mein Geschäft ist der Glaube, nicht das Wissen«, erwiderte der Franziskaner mit einem Schmunzeln. »Und das deine ist fürs Erste der Schlaf. Weiche Himmelbetten haben wir nicht zu bieten, aber für deinen armen Leib tut’s eine Pritsche genauso. Für deine arme Seele bete ich heute Nacht allein. Sollte dein Postulat dich in deinem Entschluss bestärken, hast du schließlich den Rest deines Lebens Zeit, es selbst zu tun.«

11
    Nach einem Winter voller Nächte ohne Ende und Tage ohne Licht zog der Märzmorgen so klar und sonnendurchflutet herauf, als sei eine neue Welt geboren. Hinter der Marienkirche baute eine Gruppe von Schaustellern bereits die Bühne für ihr Passionsspiel auf, und der Trübsinn, der die Bernauer auf Monate niedergedrückt hatte, schien mit einem Schlag verflogen. Nur über den Harzers aus der Brauergasse lastete er in unverminderter Schwere. Das Lächeln, zu dem Magda sich zwingen wollte, misslang ihr. Also ließ sie sich ohne Lächeln von Utz den Kasten reichen, in dem sie ihre Kleider aufbewahrte, und trug ihn hinunter in den Hof.
    Utz folgte ihr mit aufeinandergestapelten Stühlen aus der Stube, in der sie gekocht, gegessen, gefeiert, gelacht, gezankt und getrauert hatten. Mit einem Strick band er die Möbelstücke zusammen und lud sie auf den Karren. »Komm, lass mich das machen«, sagte er zu Magda, die sich vergeblich mühte, ihren Kasten nach oben zu stemmen.
    Früher hätte Magda empört widersprochen. Sie war immer stolz darauf gewesen, genauso anpacken zu können wie die Brüder. Jetzt aber überließ sie es mit einem Achselzucken Utz.
    Utz verstaute den Kasten neben dem übrigen Gepäck und wandte sich ihr wieder zu. »Ach, mein Herz, zieh doch nicht so ein Gesicht«, sagte er und legte liebevoll die Arme um sie. »Berlin wird dir gefallen, glaub mir. Es gefällt jedem, der nur ein wenig Sehnsucht nach Fortschritt im Leib hat. Es ist so anders als hier.«
    »Wie kann es mir dann gefallen?«, raunzte sie ihn an.
    Er wich erschrocken zurück, und ihr tat es leid. Den ganzen Winter über hatte Utz sowohl ihr als auch

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