Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
nichts daran. Diether hatte ja den angeblichen Mörder nicht gesehen und vermochte ihn nicht zu beschreiben. Mithin blieb er für die Leute aus Bernau der Mörder, und bei der Familie eines Mörders kaufte niemand mehr sein Bier.
»Hast du den Mann denn wirklich nicht erkannt?«, hatte Magda ihren Bruder wieder und wieder gefragt. Sie selbst war anfangs sicher gewesen, einzig Linhart könne das Verbrechen begangen haben, sosehr sie sich inzwischen dafür schämte. »Du musst doch etwas gesehen haben, und wenn es nur die kleinste Einzelheit ist.«
In diesen Tagen war Diether so gut wie ständig betrunken. All die Fässer, die niemand mehr kaufte, trank er selbst leer, und wenn Magda mit ihm sprechen wollte, beharrte er mit schwerer Zunge, er habe nichts gesehen. Schließlich sei er niedergeschlagen worden, und außerdem hätten er und Endres ordentlich gebechert und wären somit kaum bei sich gewesen. »Wir hatten den ganzen Krug Starkbier ausgetrunken und dann noch die Flasche mit Wacholderschnaps, die du uns mitgegeben hast. Wir waren ja bester Laune und wollten unsern Plan mit dem Rauchbier feiern.« Sobald er zu der Stelle kam, schossen ihm grundsätzlich die Tränen in die Augen, und es war kein Reden mehr mit ihm.
Einmal aber, nachdem die Männer aus der Stadt ihn verprügelt hatten, erwischte Magda ihn nüchtern. So zerschunden war er, dass er nicht einmal aus dem Bett kam, um sich volllaufen zu lassen. Sein Anblick war zum Gotterbarmen. Eines seiner schönen Augen war zugeschwollen, die Haut ringsum wie rohes, rotes Fleisch. Die Lippen waren aufgeplatzt, das Haar in Büscheln ausgerissen, und quer über die Wange zog sich eine Schramme. Was immer er auch durch seinen Leichtsinn zu Endres’ Tod beigetragen haben mochte, dies hier hatte er nicht verdient. Magdas Herz ballte sich zusammen. Am liebsten wäre sie auf die Straße gerannt und mit den Fäusten auf die Schläger losgegangen.
»Sprich mit mir«, hatte sie zu ihm gesagt. »Versuch dich zu erinnern, erzähl mir alles, was dir einfällt. Solange wir den Verbrecher, der uns Endres genommen hat, nicht finden, wird diese Stadt dich nicht in Frieden leben lassen. Denk noch einmal nach. Hast du den Mann, der euch überfallen hat, nicht vielleicht doch erkannt?«
»Doch«, erwiderte Diether so unverhofft, dass Magda zusammenzuckte. »Doch, ich habe ihn erkannt, aber das nützt mir nichts. Den Mann, den ich gesehen habe, kann ich vor kein Gericht bringen, sondern muss darüber schweigen.«
»Aber warum denn, Diether? Wenn wir den Mörder kennen, dann muss er doch für seine Tat bestraft werden.« Sie selbst hatte keinen anderen Wunsch mehr, als den Mörder, der ihr Leben zerstört hatte, bestraft zu sehen.
»Das kannst du vergessen«, entgegnete Diether kalt. »Er wird im Leben nicht bestraft, weil es Pater Honorius von den verdammten Brüdern in Chorin war. Und jetzt sei so gut und gib Ruhe. Es geht mir übel, und ich hätte gegen die Schmerzen gern einen Krug starkes Bier.«
Die Anschuldigung war so unerhört, dass Magda Tage brauchte, ehe sie daran glauben konnte. Erst als sie mit Utz darüber sprach, erkannte sie, dass Diethers Behauptung durchaus der Wahrheit entsprechen mochte.
»Diese Kleriker geben sich den Anschein, als wären sie Heilige, über jeden Tadel erhaben wie Gottvater selbst«, erklärte Utz. »Aber sie sind alles andere als das. Fehlbare Menschen sind sie, zu Sünde und Gewalt nicht weniger fähig als du und ich. Hast du nicht gehört, was Papst Johannes im Namen Gottes anzettelt? Er hetzt den polnischen König Wladislaw samt seinen Litauern in einen Krieg gegen Brandenburg, weil König Ludwig ihm ein Dorn im Auge ist. Um seine kleinlichen Händel auszutragen, lässt er ein Heer die Neumark überrennen, Dörfer in Brand setzen und schuldlose Menschen ohne Gnade abschlachten. Wenn ein Papst, der Stellvertreter Gottes auf Erden, so etwas kalten Blutes fertigbringt, weshalb sollte nicht ein zisterziensischer Prior in der Lage sein, einen einzelnen Mann zu erstechen?«
»Aber warum denn Endres, der keinem Menschen etwas zuleide getan hat? Er hat ja noch nicht einmal gegen die Priester und das Kloster gewettert wie der Rest von euch.«
»Endres war der hoffnungsvollste Brauer ringsum«, gab Utz zu bedenken. »Und Pater Honorius gehört wie Propst Nikolaus zu jenen Klerikern, die der Ansicht sind, allein der Kirche stünde zu, was dieses Land an Reichtum hervorbringt. Wir gewöhnlichen Sterblichen sollen uns in Dreck und Hunger zu Tode
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