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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Diether gestattet, ihren Schmerz und Zorn an ihm auszulassen, und es war einfach nicht gerecht, es auf ewig weiter zu tun. Im Gegenteil. Sie wollte ihm dankbar dafür sein, dass er die Zügel in die Hand genommen hatte, dass er unermüdlich darum kämpfte, die Familie zusammenzuhalten und sie alle zu schützen. Ein anderer wäre dazu nicht in der Lage gewesen, und ohne Utz’ Tatkraft wären sie untergegangen, in Not und Verzweiflung ertrunken, weil keiner von ihnen gegen die grausame Strömung anschwimmen konnte.
    »Es tut mir leid«, sagte sie zu Utz. »Ich weiß, das alles ist nicht deine Schuld.«
    »Ein wenig schuldig fühle ich mich schon«, gab Utz zu. »Weil es mich von jeher nach Berlin zog, während ihr um jeden Preis hierbleiben wolltet. Wenn du mich so anschaust, ist mir zumute, als hätte ich euch etwas aufgezwungen, was euch noch unglücklicher macht, als ihr es eh schon seid.«
    »Nein, Utz.« Magda schüttelte den Kopf. »Du hast das Richtige getan. Wir hätten hier nicht bleiben können, die Leute hätten uns Diether vor der eigenen Haustür totgeschlagen.« Die Erinnerung an den Tag, an dem ihr Bruder heimgekehrt war, nachdem eine Horde Kerle ihn auf offener Straße verprügelt hatte, trieb ihr von Neuem Tränen des Zorns in die Augen. »Und unglücklicher, als wir schon sind, kann uns gar nichts machen. Das ist unmöglich.«
    »Ich wünsche mir, dass Berlin euch, vor allem dir, ein wenig neue Hoffnung gibt.«
    Auch das ist unmöglich , wollte Magda antworten, doch dann riss sie sich zusammen und schwieg. Sie wollte nicht länger so denken, wollte Mut fassen, um den Rest der Familie zu stützen. Allen voran den Großvater. Nach Endres’ Tod hatte der alte Mann sich aufgegeben. Dieser zähe, laute, oft selbstgerechte, doch immer vor Leben strotzende Kerl war von einem Augenblick zum andern in sich zusammengebrochen und sah jetzt aus wie der Greis, der er war. Wochenlang war Magda versucht gewesen, es ihm gleichzutun, sich fallen zu lassen, sich um nichts mehr zu scheren und tatenlos darauf zu warten, dass das Verhängnis seinen Lauf nahm.
    Für diese Haltung aber schämte sie sich jetzt. Utz hatte richtig gehandelt – was immer sie taten, klein beigeben durften sie nicht. Der Großvater hatte es getan, Lentz hatte es bereits nach dem Verlust seiner Alheyt getan, und Diether tat es jeden Tag aufs Neue. Sie und Utz hatten kein Recht, sich solche Schwäche zu erlauben. Wenn sie sich auch noch ihrem Schmerz hingaben, waren die übrigen drei verloren. Sie hatten niemanden als sie, um sich aus dem Elend herauszukämpfen.
    Magda war froh gewesen, als Utz beschlossen hatte, jenen Berliner Bekannten – Herrn Bechtolt – aufzusuchen und ihn zu fragen, ob das Angebot, das er ihm einst gemacht hatte, noch galt. Bechtolt war großzügig genug, seine Offerte zu erneuern, und Utz teilte der Familie mit, er werde die Truhe mit Magdas Mitgift öffnen, um von dem Geld und dem Erlös aus dem Verkauf des Hausrats das erforderliche Grundstück mit Kontor zu kaufen. Hernach werde er ihren Umzug nach Berlin in die Wege leiten.
    Diesmal hatte der Großvater sich nicht widersetzt. Seit Endres’ Tod besaß er keine Kraft mehr, sich zu widersetzen. Dass der Großvater Endres, seinen Patensohn, geliebt hatte, war Magda nicht neu, doch das Ausmaß dieser Liebe erschreckte sie. Auf Endres, so schien es, hatte der alte Mann all seine Hoffnung gesetzt, und ohne ihn sah er in nichts mehr einen Sinn. Nicht einmal in seiner Arbeit, der Brauerei, der er sein ganzes Leben gewidmet hatte.
    Ohnehin war der Betrieb verloren, und sie konnten nicht in Bernau bleiben. Ihre Mitbürger, die Menschen, unter denen sie ihr Leben verbracht hatten, beschuldigten Diether, seinem künftigen Schwager Endres in den Hals gestochen und zugeschaut zu haben, wie er elend verblutet war. Bei ihren eigenen Leuten waren sie unter die Wölfe gefallen.
    Hatte nicht jeder vernommen, wie Diether den Ziehbruder auf dem Jahrmarkt zu Walpurgis beschimpft hatte? Wussten nicht alle schon seit Lentz’ Verlobung, dass der Großvater nicht Diether, sondern Endres zu seinem zweiten Erben bestimmt hatte? Überhaupt sei doch bekannt, dass in Diether Harzers Adern allzu heißes Blut floss. War er nicht beim kleinsten Anlass mit den Fäusten dabei, und hatte man nicht munkeln hören, er habe harmlose Bürger wie den Linhart mit dem Messer bedroht?
    Dass Diether vor dem Rat den Überfall schilderte und dass der Rat ihn nach gründlicher Befragung laufen ließ, änderte

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