Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
du mich gehen? Komm heute mit mir nach Hause, Thomas. Zeig dich, lass alle sehen, wie es um uns steht. Mein Großvater und meine Brüder, wenn sie sich überhaupt scheren, werden uns ein bisschen Saures geben, aber die Ohren werden sie uns schon nicht abreißen.«
»Haben wir darüber nicht schon etliche Male gesprochen, starrköpfige Brandenburgerin?«
»Haben wir nicht. Ich habe geredet, und du hast mir die Antwort verweigert. Verweigere sie mir dieses eine Mal nicht. Erklär mir, was so schlimm daran wäre, wenn uns jemand beieinander sieht.«
»Ich müsste lügen«, sagte er. »Und als Lügner bin ich der kläglichste Versager in der ganzen Mark.«
Die Worte klangen nicht komisch, sondern geradezu tödlich ernst. »Und wenn du die Wahrheit sagst?«
»Dann darf ich nicht mehr ins Kloster zurück.«
»Beim Herrgott, du sollst doch auch nicht mehr in diesen Kasten zurück! Wie soll ich nur jemals begreifen, warum du dorthin willst, du, der Lästerreden schwingt wie der übelste Ketzer und der sich auf Frauen versteht, dass ich dir manchmal die Augen auskratzen möchte …«
Er war ein paar Schritte weitergegangen und blieb beim dichtesten der Schlehensträucher stehen. In Gedanken versunken, betrachtete er die winzigen, gerade erst sich formenden Früchte. Dann hob er den Kopf und drehte sich zu ihr um. »Ich lästere nicht wie ein Ketzer«, behauptete er geradezu gekränkt. »Und auf Frauen verstehe ich mich so jämmerlich wie ein Keiler aufs Flötenspiel.«
»Red dich nicht heraus! Ich denke, du bist als Lügner ein Versager.«
»Als Lügner ja.« Er wandte sich wieder zu den Schlehen. »Und als Mann, der eine Frau liebt, auch.«
Magda ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Wie unter einem Hieb fuhr er herum und wich einen Schritt von ihr fort. Auch das tat ihr weh. Er erlaubte ihr, mit ihm zu spielen und zu toben, ihn am Haar und an den Ohren zu ziehen, ihn in die Lippen zu beißen und ihn zu kitzeln, bis er um Gnade flehte. Aber er erlaubte ihr nicht, seinen Rücken zu berühren, den sie aufregend fand und unendlich gern liebkost hätte.
Resigniert griff sie nach seinem Arm. »Steh mir einmal Rede und Antwort, Thomas. Wenn es erst kalt, wenn es Herbst wird, was soll dann aus uns werden? Wir sind doch keine Vögel auf dem Feld, die in den Tag hineinleben können.«
»Nein«, gab er zu, »wir sind keine. Auch wenn es mir himmlisch vorkäme, einer zu sein. Also schön. Ich stehe dir Rede und Antwort. Recht hast du ja – dass es mir wehtut, ist kein Grund, sich davor zu drücken.«
Sie lehnte sich gegen ihn und streichelte über seine Wange. »Vielleicht glaubst du nur, es müsse dir wehtun, weil du keine Lösung weißt. Ich aber will doch mit dir reden, um eine zu finden.«
»Ich weiß eine, mein liebstes Mädchen aus Bernau«, sagte er und küsste ihre Hand. »Sie ist ganz einfach. Und sie tut mir weh. Wenn es Herbst wird, leiste ich die Gelübde und beginne mein Noviziat. Ich habe das, was jetzt bevorsteht, mit einer Feigheit hinausgezögert, die zum Himmel schreit. Umso froher bin ich, dass du mich nicht mehr davonkommen lässt. Dass wir es hinter uns bringen, du und ich.«
»Was hinter uns bringen?«
»Das Lebewohlsagen, Magda. Das letzte Mal.«
Sie erschrak bis ins Mark. »Nein«, flüsterte sie.
»Ich finde es ein bisschen widerlich, mit großen Worten um mich zu werfen.« Seine Stimme brach zweimal in dem einen Satz. Er nahm sie beim Kinn und küsste zart ihre Lippen. »Diese muss ich dir trotzdem sagen, Mädchen aus Bernau: Du hast mir das Leben gerettet, glaube ich. An Gottes Stelle gäbe ich dir alles Glück, das sich auf Erden versammeln lässt, weil du mit deinem tollkühnen Herzen jede Unze davon verdienst. Und nein, das ist keine ketzerische Rede, das ist so, wie es ist.« Mit dem letzten Wort brach ihm die Stimme erneut. Er küsste Magda noch einmal und gab ihr Kinn frei. Das Bündel aus Decken warf er sich über die Schulter. Dann ging er.
»Warum?«, schrie sie ihm nach, dass das kleine Wort über die Endlosigkeit des Feldes hallte. »Warum, warum, warum? Du hast versprochen, mich nicht zu verlassen – wie kannst du so kalt sein, wie kannst du einfach dein Versprechen brechen?«
Er blieb stehen und wandte ihr sein Gesicht zu. Es war alles, nur nicht kalt. »Ich verlasse dich nicht, Magda. Wie dein Bruder Lentz dich nicht verlässt. Wann immer du meine Hilfe brauchst, wirst du sie haben, das verspreche ich dir heute noch einmal. Und was immer nötig ist, um dir zu
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