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Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Lyne
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Bechtolts Verrat hatte er seinen Traum vom Aufstieg als Berliner Händler verloren. Dieser Traum war ihm immer wie eine Kugel aus zartem, unermesslich kostbarem Glas erschienen, durch deren eisklare Wände er seine Zukunft vor sich gesehen hatte: Er würde in die blühende Doppelstadt gehen, er würde Haus und Grund erwerben und die Aufnahme in die Gilde erreichen. Waren diese Hürden erst genommen, würde der Rest sich von selbst ergeben. Aufs Handeln verstand er sich, daran hegte er keinen Zweifel. Sein Geschäft würde florieren, wenn er nur die Möglichkeit erhielt, sich zu bewähren, und für diese Möglichkeit war ihm kein Opfer zu groß erschienen.
    Jetzt aber gab es nichts mehr, um das ein Opfer sich lohnte. Bechtolt hatte die Glaskugel, seinen schönsten, teuersten Besitz, zu Boden geschleudert, wo sie in tausend Scherben zersprungen war.
    Weshalb also am Morgen noch aufstehen, weshalb ordentliche Kleidung anlegen, weshalb einen Bauch, der zu nichts nütze war, mit Speisen abfüllen? Einzig Magda war es, die Utz im Leben hielt. Zu sehen, wie sie sich abrackerte, ohne dass einer ihrer Brüder ihr zur Seite stand, erfüllte ihn mit marternden Schuldgefühlen. Er musste einfach die Stärke aufbringen und seiner Schwester zu Hilfe eilen. War er als Familienoberhaupt nicht dazu verpflichtet? Und das Oberhaupt dieser Familie war er, war es im gewissen Sinne immer gewesen, denn der Großvater in seiner Verbohrtheit taugte nicht dazu, und Lentz, so brav er sich lange Zeit geschlagen hatte, besaß weder Ehrgeiz noch Passion. Wenn Magda auf einen ihrer Brüder zählen konnte, dann war es Utz. Er durfte sie nicht im Stich lassen.
    Zwei Versuche, ins Leben zurückzukehren, scheiterten. Beim dritten begriff Utz: Er würde nicht die Kraft finden, sich auf die Füße zu kämpfen, solange er nicht den kleinsten Funken Hoffnung aufbringen konnte. Hoffnung darauf, doch noch ein Dasein in Würde zu führen. Hoffnung, eines Tages zu leben, wie es seinem Wesen entsprach. Hoffnung, Bechtolt heimzuzahlen, was dieser ihm angetan hatte, und Hoffnung, Fronica noch einmal gegenüberzustehen wie damals in der dunklen Gasse und diesmal die Karten von Sieg und Niederlage neu zu verteilen.
    Das Wunder geschah: Ganz allmählich und mit einem Mut, der ihn selbst verblüffte, nährte Utz wieder Hoffnung in sich. Schritt um Schritt, wenn auch langsam, entstand vor seinem geistigen Auge eine neue Kugel aus glitzerndem, venezianischen Glas. Ein neuer Plan nahm Gestalt an und füllte die Kugel mit Farbe und Bildern. Jene Bilder verliehen Utz die Kraft, sich schließlich vom Boden zu erheben und seiner Schwester seine Hilfe anzubieten, sosehr ihm das Braugewerbe auch zuwider war.
    Mit Magdas Zustimmung übernahm er den geschäftlichen Teil und machte, wie nicht anders zu erwarten, seine Sache gut. Lentz’ feige Flucht war ein neuerlicher Schlag für die Familie, doch letzten Endes kam es, wie der Bruder gesagt hatte: Er fehlte ihnen nicht, und es gab einen Esser weniger, der ihnen auf der knapp gefüllten Tasche lag. Magda schuftete wie ein Tier, um die Schulden zu begleichen, und so oft der erste Zipfel eines grünen Zweiges in Sicht war, tauchte Diether auf und sackte das bisschen Überschuss ein, um es sinnlos zu verprassen. Utz wusste, mit was für Leuten er sich herumtrieb, wo er sein Geld ließ und mit was für Gefahren er spielte, doch ebenso wenig wie Magda wusste er, wie dem Einhalt zu gebieten war. Da sie ihn nicht fallen lassen konnten, überließen sie ihm zähneknirschend ihr Geld, obgleich es sie jedes Mal um Wochen zurückwarf.
    Lange kam es Utz vor, als kämpften sie auf verlorenem Posten, als folgten auf jeden Schritt vorwärts zwei oder gar drei zurück. Magda jedoch erwies sich als unermüdlich. Der Quell ihrer Stärke schien nie zu versiegen, und bei allem schaffte sie es noch, ihre Arbeit mit einem Frohsinn zu verrichten, als wären das Gestampf in der Maische und das Geschrei auf dem Markt der Gipfel der Seligkeit. Wäre sie nicht meine Schwester Magda, müsste ich annehmen, sie sei verliebt, dachte Utz.
    Letzten Endes zahlten Magdas Zähigkeit und sein Geschäftssinn sich aus. Allmählich geriet der kleine Betrieb in Schwung, der Name Harzer-Bier erwarb sich einen Klang, und die Kunden, die einmal eine gefüllte Schweinsblase kauften, kamen an den nächsten Markttagen wieder. Im Juni gelang es ihnen zum ersten Mal, ein wenig Geld beiseitezuschaffen, von dem Diether hoffentlich nichts erfahren würde. Die kleine Summe lag

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