Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
unter einem Gärfass versteckt, und allwöchentlich kamen ein paar Pfennige dazu. Mit jedem einzelnen spürte Utz die Erregung in sich steigen. Seine Hoffnung wuchs, und sie beflügelte ihn.
Noch immer war es Magda, die das Geld verwaltete, obwohl diese Aufgabe Utz hätte zukommen müssen. »Und dabei bleibt es auch«, hatte der Großvater gebellt, als er eines Abends zaghaft vorgeschlagen hatte, ihm den Umgang mit den Einkünften zu übertragen, statt ihm für jeden Einkauf abgezählte Summen zuzuteilen. »Das Kälbchen hat dieses Gewerbe mit seinen eigenen Füßchen aus dem Boden gestampft, und was immer dabei herausspringt, steht ihm von Rechts wegen zu. Du lass deine Finger davon. Ihre Mitgift hast du schon für deine Flausen vergeudet, und wenn sie jetzt nicht heiraten kann, dann soll sie wenigstens ihr Auskommen haben, haben.«
Utz ließ sich zu keiner Erwiderung hinreißen. Manchmal hatte er sich gewünscht, dem gehässigen Alten seine Kränkungen heimzuzahlen, doch er hatte entschieden, dass derlei unter seiner Würde war. Ohnehin war der Greis jenseits von Gut und Böse und für nichts, was er tat, mehr verantwortlich. Wenn der Zeitpunkt gekommen war, würde Utz mit Magda sprechen. Bei seiner Schwester, daran zweifelte er nicht, würde er auf Verständnis stoßen.
Der Zeitpunkt kam, als der August anbrach. Sooft Utz allein im Kontor war, zählte er die Summe unter dem Gärfass durch. Sie wuchs stetig, und bald war sie so groß, dass es sich lohnte, sie zu teilen. Er würde Magda vom Markt abholen und ihr vorschlagen, sich eine ordentliche Mahlzeit im Gasthaus zu gönnen. Auf diese Weise konnten sie ihr Gespräch ohne die lästige Einmischung des Großvaters führen, und zudem schien es Utz nur angemessen, nach all der Mühsal und dem Kampf zu feiern.
Der kleine Stand, den Magda auf dem Olden Markt unterhielt, war eng von Kunden umstellt. Utz hielt sich am Rand und sah zu, wie seine Schwester emsig Krug um Krug ausschenkte, den Leuten die mitgebrachten Schweinsblasen füllte und mit der freien Hand eine Bestellung niederschrieb. Das Schreiben hatte Utz sie gelehrt, und nun zahlte es sich aus! Welche der anderen Marktfrauen verfügte wohl über so viel Bildung, dass sie ihre Aufträge schriftlich hätte festhalten können?
In den Anflug von Stolz mischte sich ein Tropfen Bitterkeit: Er hatte seiner Schwester zu Bildung verholfen, um ihr ein Leben wie das als Marktfrau zu ersparen. Sie mochte ein einfaches Brandenburger Mädchen sein, nicht zu Höherem geboren, doch er hatte ihr einen Mann gewünscht, der sie beschützte und für sie sorgte. Mit einem Seufzen zuckte Utz die Schultern. Das Schicksal hatte es anders bestimmt, der Hader nützte nicht, und Magda schien ihr Los mit Heiterkeit zu tragen.
Jedenfalls hatte sie es die Sommermonate über mit Heiterkeit getragen. Dass dem nicht mehr so war, musste Utz erkennen, sobald das Marktläuten das Ende des Handelns gebot und der belebte Platz sich leerte. Als die Menge sich teilte, tauchte das Gesicht seiner Schwester auf und versetzte ihm einen Schrecken. Wo war das glückselige Strahlen, das Magda in all den Wochen an den Tag gelegt hatte, wo war die frische Farbe, die davon kündete, dass sie ordentlich aß und schlief? Die Magda, die er jetzt zu sehen bekam, war totenbleich, und um ihre Augen ballten sich schwarze Schatten wie bei einer Kranken.
»Mein Herz«, entfuhr es ihm, und ohne den Rückzug des letzten Kunden abzuwarten, stürmte er zu ihr an den Scharren.
Sie wandte ihm den Blick zu, schwerfällig, fast als hätte sie Mühe, ihn zu erkennen. »Utz«, murmelte sie ohne Ausdruck.
»Mein Herz, was ist dir denn? Bist du krank, wächst dir dieser Berg von Arbeit über den Kopf?«
»Mir ist nichts, Utz«, sagte sie noch immer in dem unheimlichen, ausdruckslosen Ton und begann, das geleerte Steinzeug auf ihren Handkarren zu laden und mit geübten Griffen festzuzurren.
»Was hältst du davon, heute Abend einmal kein Kraut aufzuwärmen, sondern es dir in der Hohlen Birne nach Herzenslust schmecken zu lassen? Ich lade dich ein – du hast es dir redlich verdient.«
Dass er für die Einladung Geld aus ihrem Beutel brauchte, war unangenehm, doch es wäre ja das letzte Mal.
»Nicht in die Birne! «, rief sie, und in ihre Stimme kam Leben. Sie klang regelrecht entsetzt.
»Etwas Feineres können wir uns nicht leisten«, bekundete er ein wenig verärgert. Für ihn war die Birne zwei Winter lang gut genug gewesen, zwei selige Winter mit Fronica. »In die
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