Das Mädchen aus dem Meer: Roman
musste, weil es besonders hartnäckige Parasiten befallen hatten. Cochas Schönheit kam, wie man so sagt, von innen. Die schönste, gewissenhafteste Seele, die mir je begegnet ist …
Ich schweife schon wieder ab, ich weiß. Aber ich kann gar nicht genug von Cocha erzählen, weißt du? Ich kann nicht genug an ihn denken, und ich kann es kaum erwarten, ihn endlich wieder bei mir zu haben. Ich bin sicher, dass er es geschafft hat, und das hat einen guten Grund. Aber wenn ich jetzt vorgreife, verliere ich den Überblick.
Markannesch hatte also ein Schreiben aufgesetzt, in dem er erneut um faire Handelsbedingungen und die Auflösung des Embargos bat. Er wolle keinen Krieg, so schrieb er, müsse es jedoch darauf ankommen lassen, da seine Untertanen zu Zehntausenden zu verhungern drohten. Eine Behauptung, die ich übrigens selbst für maßlos übertrieben hielt, ehe ich das cyprische Montania außerhalb der Sümpfe kennenlernte, aber auch dazu später mehr.
Kratt hingegen konnte sich mit der Vorstellung eines Krieges sehr gut anfreunden. Tatsächlich hatte er sogar nie etwas anderes im Sinn gehabt, als die Fronten mit all seinen Möglichkeiten zu verhärten, denn jede große Katastrophe, so erklärte er gelassen, ermöglichte die grundsätzliche Neuordnung der Verhältnisse. Und er war überzeugt, dass seine Paradieslosen zusammen mit Gormos Truppen diese Verhältnisse nach dem großen Eklat bestimmen würden. Und in Montania gab es kein Paradies für die Alten und Kranken. In Montania kümmerte man sich bis zum letzten Augenblick selbst um die, die einem nahestanden; genau, wie die Paradieslosen es sich wünschten.
Auch Kratt sandte ein paar Boten aus, darunter die Zwillinge. Und sie trugen eine viel weniger versöhnliche Kunde in seine geheime Parallelwelt hinaus: Er gab den Paradieslosen das Zeichen zum Aufstand, und zwar in seinem eigenen, Gormos und auch meinem Namen, wie ich erst später erfuhr. Cypria bereitete sich auf einen Krieg vor, von dem ich bis zum letzten Tag nicht glauben wollte, dass er tatsächlich hereinbrechen würde.
Die Antwort meines Vaters folgte auf dem Fuße und fiel unmissverständlich aus. Ich hielt sie selbst in den Händen und konnte es trotzdem nicht glauben.
Mein Vater lehnte jegliche weitere Verhandlung mit Montania ab, beharrte auf den von Cypria beschlossenen Handelsbedingungen und kündigte militärische Konsequenzen noch vor der nächsten Sommersonnenwende an, falls Gormo, den er in gestochenen Worten der Beutelschneiderei bezichtigte, nicht binnen kürzester Zeit Einsicht übte. Außerdem ließ er ihn wiss en, dass er bedauere, ihm mitteilen zu müssen, dass nun offiziell der Vorwurf der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gegen den Faro von Montania bestehe, der offenbar seine Tochter auf seinem Grund versteckte, welche sich im Sinne der Paradieslosen des Hochverrats schuldig gemacht und darum jüngst zur Rechtlosen erklärt worden sei. Ebenso wie der junge Cocha von Kirm, wie man ihn wissen lassen solle, falls er sich, wie dringend vermutet, ebenfalls in Montania aufhalte. Seine Familie habe man bereits festgenommen. Milla von Kirm werde nach ihrem umfassenden Geständnis zum ersten Vollmond im Februar öffentlich hingerichtet. Was seinen jüngsten Sohn Rossa angehe, würde er natürlich alles in seiner Macht Stehende tun, um ihn wohlbehalten aus Gormos Händen zu befreien, jedoch könnte er das Leben eines einzigen Menschen nicht über die Belange eines ganzen Volkes stellen, was wohl bedeutete, dass er versuchen wollte, Rossa gewaltsam zurückzuholen.
An mich persönlich richtete er keine einzige Silbe.
Ich war am Boden zerstört, wie du dir vielleicht vorstellen kannst. Mein eigener Vater hatte mich, umgehend und ohne mich nur ein einziges Mal von Angesicht zu Angesicht befragt zu haben, zur Rechtlosen erklärt! Weißt du, was das bedeutet? Es bedeutet, dass jeder, der meinen Weg kreuzte, mit mir tun und lassen konnte, was er wollte. Ob er einen Rechtlosen nun an den nächsten Statthalter ausliefert und das für Rechtlose festgelegte Kopfgeld kassiert, mich in einen feuchten Keller sperrt und nach Belieben misshandelt und benutzt oder aus reiner Lust am Morden tötet, ist völlig egal. Ich hatte meine Menschenrechte verloren – sogar das Recht auf Leben!
»Das schreibt er nur, um den Druck auf Gormo zu erhöhen«, versuchte Cocha mich zu beruhigen, während ich mit dem Schreiben in der Hand am Boden unserer Kammer kauerte und den Hinterkopf rhythmisch gegen
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