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Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Das Mädchen aus dem Meer: Roman

Titel: Das Mädchen aus dem Meer: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Hohlbein
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Reiten und das Erlernen neuer Sprachen. Ich suhlte mich ausgiebig im Applaus der anderen Kinder, war mir aber der Tatsache bewusst, eigentlich keine große Leistung erbracht zu haben. Es war eben etwas, das ich ganz einfach konnte – es war nicht mein Verdienst .
    Beim Hürdenlauf wurde mein Bruder in diesem Herbst zum ersten Mal nur Zweiter. Ich musste mich mit dem siebten Platz begnügen, und Cocha war Dreiundzwanzigster. Ich weiß gar nicht mehr, wer ihn gewonnen hat – ein Junge aus einem nahen Dorf, glaube ich. Aber das ist auch nicht wichtig.
    Die dritte Disziplin, in der wir uns maßen, war das Ballringen – ein Mannschaftssport, in dem es darum geht, einen ledernen, mit Stroh gefüllten Ball, der eine Widerhakenkugel symbolisiert, in den sogenannten Thronsaal der gegnerischen Mannschaft zu befördern. Der Thronsaal ist eigentlich nur ein Viereck aus Kreide, das auf das Pflaster gemalt wird, vier Ellen breit und vier tief, und erlaubt ist alles, bis auf den direkten Körperkontakt. Das heißt, du darfst deinem Gegner den Ball aus den Händen reißen oder treten, du darfst den Ball werfen oder mit dem Fuß anschubsen, du darfst ihn mit dem Kopf stoßen oder mit Bauch oder Brust abfangen – alles ist erlaubt, solange du deine Gegner nicht absichtlich berührst. Dein Arm darf versehentlich einen Rücken streifen, deine Hand vom Ball abgleiten und die Schulter eines Gegners berühren, aber mehr auch nicht.
    Ich mochte dieses Spiel sehr und war recht gut darin – aber in diesem Fall hatte ich für die relativ hohen Punktzahlen vergangener Spiele hart gekämpft. Das war nicht einfach ein Talent. Jeder Punkt war eine Folge ausgiebigen Trainings, der Verdienst vieler Stunden, die ich damit zugebracht hatte, das Fangen und Werfen und Treten der Lederkugel zu üben. Ich war nicht überragend gut in dieser Disziplin, erbrachte aber stets eine anständige Leistung. Im Ballringen war ich ehrgeizig.
    Cocha hingegen wälzte sich eher behäbig über das Feld, zeigte sich unmotiviert und deutlich zu gleichgültig, als dass man ihn gern zu seiner Mannschaft zählen wollte, und machte die wenigen Punkte, die ihm gelangen, eher durch Glück oder den Umstand, dass er größer und schwerer war als die meisten anderen Kinder. Darum überließen ihm viele den Ball lieber, als Gefahr zu laufen, versehentlich von ihm über den Haufen gerannt zu werden. Zum Glück spielte er nicht in meiner Mannschaft. Bis zuletzt führten wir knapp mit einunddreißig zu neunundzwanzig Punkten, was wir nicht zuletzt Cochas Trägheit verdankten, denn im Großen und Ganzen war die gegnerische Mannschaft keine schlechte Truppe.
    Ich selbst hatte keine Scheu, mich auf den einen oder anderen Zweikampf mit ihm einzulassen, obwohl er fast doppelt so schwer war wie ich. Tatsächlich suchte ich die direkte Konfrontation sogar, denn schon in den ersten Minuten hatte er mich mehrfach im Vorbeischwabbeln gestreift, einmal mit dem Ellbogen erwischt und war mir mehrmals fast auf den Fuß getreten. Mir war klar, dass nichts davon ein Versehen gewesen war. Aber er attackierte mich so geschickt, dass es für alle anderen, insbesondere für die Schiedsrichter, immerzu nach bloßer Tollpatschigkeit aussah. Nur er und ich wussten von der bösen Absicht, die hinter seinem plumpen Gerempel steckte.
    Tja. Es stand jedenfalls einunddreißig zu neunundzwanzig, als er mir zum letzten Mal an diesem Tag mit einem Ball in der Hand gegenüberstand. Ich stand nur wenige Schritte von unserem Thronsaal entfernt, das Feld war recht groß, und obwohl jede Mannschaft aus acht Spielern bestand, war auf rechtzeitige Hilfe nicht zu hoffen. Cocha wollte und würde diesen Punkt für seine Mannschaft holen, und ich wäre der Versager.
    Niemals!
    Als er nur noch einen Schritt von mir entfernt war, das Ziel fest im Blick, stürzte ich mich auf den Ball. Die Wucht, mit der ich mich auf ihn schmiss, riss Cocha von den Füßen und ließ ihn hintenüber kippen. Irgendwo hinter mir ertönte ein doppelter Pfiff – das Signal, dass das Spiel wegen einer Regelverletzung unterbrochen wurde. Ich ignorierte es. Wie oft, bitte sehr, hatten denn die Schiedsrichter seine Regelbrüche ignoriert? Ich presste mich mit allem Gewicht auf seinen Oberkörper und angelte mit den Armen nach dem Ball, den er ächzend über seinem Kopf festzuhalten versuchte. Ich erwischte den Ball, aber seine Hände waren stärker als meine. Keine Chance, ihm das begehrte Rund allein mit Kraft zu entreißen.
    »Bist du

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