Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
umherziehende Heiler normalerweise aufzuhalten pflegten: am Rande des Marktplatzes, der von Menschen nur so wimmelte. Also war Reeva nun hier und wartete darauf, dass sie von einem Hilfe suchenden Kranken angesprochen wurde. Ganz in ihrer Nähe zog ein feister Mann ihre Aufmerksamkeit auf sich, der laut schreiend ein Wundermittel anpries. Schon viele schwatzende und staunende Frauen hatten sich um den Quacksalber versammelt, und nicht wenige hatten auch eines der Gefäße gekauft, die der Mann in seinem Bauchladen hatte. Angeblich half das Mittel gegen alle möglichen Wunden, Kopf- und Zahnschmerzen, Erkältungen, Haarausfall und vieles mehr. Doch als eine der Frauen neugierig fragte, woraus diese Arznei denn bestand, wurde sie mit unfreundlichen Worten abgewiesen.
Reeva konnte nicht begreifen, weshalb dieser Mann wissentlich unwirksame Medizin an kranke Menschen verkaufte. Doch ganz offensichtlich hatte er weitaus mehr Erfolg als sie selbst. In den Dörfern waren sie und Enva meist die einzigen Heilerinnen gewesen; dass sie hier um die Gunst der Patienten kämpfen musste, war sehr ungewohnt für Reeva.
„Arzneien! Arzneien gegen Krankheiten aller Art“, versuchte sie es wie die anderen Heiler mit Rufen, doch ihre leise Stimme ging im Lärm des Marktplatzes unter. Sie bemerkte auch, dass ihr Standort sehr schlecht gewählt war: Das hölzerne Fass stand ein wenig abseits im Schatten eines Hauses, und die meisten Leute liefen an ihr vorbei, ohne sie überhaupt zu bemerken. Einmal stolperte sogar jemand über ihre aufgestellten Gefäße und zertrat dabei einen Salbentiegel. Da gab sich das Mädchen einen Ruck, griff nach seinem Bündel und rutschte von dem Fass. Aufmerksam beobachtete es die Menschen, die sich in diesen Teil des Marktplatzes verirrten, und als sich eine eben dazukommende Bäuerin an den feisten Mann mit seinem Wundermittel wenden wollte, kam Reeva ihr zuvor: „Brauchst du eine Medizin, gute Frau? Ich kann dir hier und jetzt einen Trank oder eine Salbe zubereiten!“
Die Frau zögerte einen Moment – offensichtlich wirkte der Quacksalber auf sie glaubwürdiger als dieses zerlumpte, abgemagerte Mädchen. Doch schließlich zuckte sie gleichmütig mit den Achseln und verlangte ein Mittel für ihre aufgesprungenen Hände.
Sie sollte nicht Reevas letzte Patientin bleiben. Langsam verlor das Mädchen einen Teil seiner Scheu und wandte sich gezielt an Menschen, die gerade einen anderen Heiler anstrebten. Am Abend, als sich der Marktplatz nach und nach leerte, hatte Reeva auf diese Art schon einiges verdient. Sie packte ihre Sachen zusammen und wanderte zwischen den Händlern und Marktständen umher. Bei einem Bauern, der gerade die unverkauften Waren wieder auf seinen Karren lud, erstand sie etwas Brot und Käse, mit denen sie ihren Hunger stillte. Danach suchte sie einen sicheren Schlafplatz, was ihr nicht allzu schwer fiel – zum Glück war es warm genug, um im Freien zu übernachten.
Auf diese Weise verbrachte Reeva einige Zeit am Marktplatz: Am Tag kämpfte sie gegen die anderen Heiler um Patienten, mischte und verkaufte Medizin; die Nacht verbrachte sie in einem geschützten Winkel unter freiem Himmel. In den frühen Morgenstunden, wenn sich langsam die ersten Händler und Käufer einfanden, spazierte Reeva gerne über den Marktplatz und hatte die Augen überall zugleich. Oft erregten dabei einige Gaukler ihre Aufmerksamkeit, die mit Jonglieren, Feuerspucken und Akrobatik ihr Tagwerk begannen. Manchmal gesellte sie sich aber auch zu den Dienstmägden, die sich mit ihren Krügen um den großen Brunnen in der Mitte des Platzes scharten. Dass sie sich durch ihr vieles Plaudern verspäteten und den Zorn ihrer Herrinnen riskierten, schien sie nur wenig zu stören.
Einmal begegnete Reeva auf ihrem morgendlichen Rundgang einem ehemaligen Patienten, dem sie vor ein paar Tagen eine Salbe verkauft hatte. Der junge Mann half gerade seinem Meister dabei, große Fässer voller Äpfel von einem Karren abzuladen. Als er Reeva entdeckte, winkte er ihr fröhlich zu und rief: „Sei gegrüßt, Heilerin! Dein Mittel hat wunderbar gewirkt, der Ausschlag ist fast völlig verschwunden!“ Zum Beweis rollte er einen Ärmel hoch. „Wenn du dich in allen Bereichen der Heilkunst so gut auskennst, könntest es vielleicht du sein, die unseren Prinzen wieder gesund macht!“
Reeva, die gerade zufrieden den Arm des Burschen untersucht hatte, blickte auf und runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“
Verwundert
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