Das Mädchen aus den Wäldern (German Edition)
Arbeit auf, alle konzentrierten sich auf die dampfenden Töpfe und Kessel. Noch lange nachdem sie die Küche verlassen hatten, konnte Reeva den Duft nach frisch gekochten Speisen riechen, doch ihre Aufregung ließ erst gar keinen Hunger aufkommen. Mühsam versuchte sie mit Joseph Schritt zu halten, der ihr durch Gänge und über Treppen voraushastete. Bei dieser Geschwindigkeit musste sie so sehr darauf achten, nicht zu stolpern, dass sie ihre Umgebung kaum wahrnehmen konnte.
Auf einmal drosselte Joseph sein Tempo, und Reeva schob sich an ihm vorbei, um den Grund für die Verzögerung zu erkennen: Ein sorgfältig gekleideter Mann mit rötlichem Bart kam ihnen entgegen. Er nickte Joseph beiläufig zu und wollte schon weitergehen, da fiel sein Blick auf Reeva.
„Wen bringst du uns da mit, Joseph? Wer ist denn dieses Mädchen, das sich so in seinen Umhang verkriecht?“, fragte er und musterte sie neugierig.
Josephs Stimme klang ein wenig gepresst, als er die vorbereitete Lüge erzählte: „Diese faule Magd wollte gerade entwischen und nach Hause gehen, als sie mir direkt in die Arme lief. Da dachte ich, sie könnte mir beim Tragen dieser Decken behilflich sein, wo ich doch mit dem Tablett schon beide Hände voll habe.“
Einen Moment lang glaubte Reeva zu sehen, wie der Mann eine Augenbraue hob; doch dann verzog sich sein Mund zu einem freundlichen Lächeln. „So ist das also. Dann will ich euch beide nicht länger aufhalten – du bist wohl gerade auf dem Weg zu Seiner Majestät, dem Prinzen?“
„Jawohl“, nickte Joseph erleichtert. „Ich hatte diesen Nachmittag einige Besorgungen am Markt zu machen – sag, gibt es irgendeine Verbesserung?“
Rotbart schüttelte den Kopf, nun war seine Miene ernst. „Du wirst es ja gleich selbst sehen. Gute Nacht dann.“ Mit einem letzten Nicken schritt er an ihnen vorbei.
Auch Joseph setzte sich wieder in Bewegung und zog Reeva hinter sich her. Bald schwirrte ihr der Kopf von den vielen Gängen, die sie bereits durchquert hatten; das Innere des Schlosses erschien ihr wie ein Labyrinth. Einige Male begegneten ihnen noch andere Menschen, doch diese grüßten Joseph nur – er schien bei allen bekannt zu sein – und beachteten das Mädchen nicht weiter. Im Gehen beugte sich der Mann zu Reeva hinunter und murmelte:
„Wir werden nun bald bei den Gemächern des Prinzen angelangt sein. Die Leibärzte sind um diese Zeit schon fort, doch mindestens einer befindet sich über Nacht ganz in der Nähe. Und vor der Tür steht immer eine Wache – möge Gott helfen, dass wir an ihr vorbeikommen!“
Die Flure, durch die sie nun eilten, unterschieden sich völlig von den ersten; sie waren hell erleuchtet und prächtig geschmückt, doch Reeva bemerkte die Gemälde und Wandteppiche kaum. Sie spürte, wie ein seltsames Gefühl von ihr Besitz ergriff; schon früher hatte sie es wahrgenommen, wenn sie zu einem besonders schwer Erkrankten in die Stube trat. Kurz bevor sie in einen weiteren Gang einbogen, hob sie den Kopf und sagte leise: „Hier ist es, nicht wahr?“ Ihr Begleiter nahm sich keine Zeit zu antworten, doch er streifte sie mit einem verwunderten Blick.
Der Wächter, von dem Joseph gesprochen hatte, stand aufrecht vor einer hohen Tür aus dunklem, mit Schnitzereien verziertem Holz. Als er die beiden kommen sah, entspannte sich seine Haltung jedoch ein wenig, und er rief Reevas Begleiter zu:
„Sei gegrüßt, Joseph! Du warst heute lange fort. Die anderen haben sich bereits darüber beschwert, dass sie deinen Teil der Arbeit tun und sich seit dem frühen Morgen um Seine Majestät kümmern mussten.“
„Nun, ich hatte eben eine Menge zu erledigen“, gab Joseph mit gezwungen heiterer Stimme zurück. „Nicht jeder kann ein solches Glück haben wie du. Ich habe dir auszurichten, dass die Wachablöse heute eher stattfindet und du nach Hause gehen kannst.“
„Ist das wahr?“, fragte der Wächter etwas ungläubig, doch die Aussicht auf eine frühere Heimkehr schien ihn sein Misstrauen vergessen zu machen.
„Natürlich ist es das. Doch ich fürchte, du wirst denjenigen holen müssen, der dich abzulösen hat. Hier geht im Moment alles drunter und drüber, und es kann gut sein, dass er noch nicht Bescheid weiß. Es ist schon in Ordnung, du kannst gehen – ich werde so lange beim Prinzen bleiben.“
Einen Augenblick zögerte der Mann, aber schließlich nickte er Joseph zu und ging davon. Kaum war er um die Ecke gebogen, begann ihr Begleiter eilig auf Reeva einzureden:
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