Das Mädchen, das den Himmel berührte: Roman (German Edition)
erhalten hatte, und zeigte ihn Octavia.
»Schmetterling?«, sagte Octavia. »Klingt das nicht ein bisschen komisch?«
Giuditta lachte hell auf. »Die Insel, auf der ich aufgewachsen bin, wurde früher von den Venezianern regiert, und jetzt herrschen dort die Türken. Aber die Bevölkerung ist eigentlich griechisch. Ein altes, vornehmes Volk. Weißt du, dass der Schmetterling in ihrer Mythologie gleichbedeutend mit der Seele ist? Und weißt du, wie Seele im Griechischen heißt?«
»Nein.«
»Doch, natürlich. Das weiß doch jeder«, sagte Giuditta lachend.
»Nein, wirklich …«
»Psyche.«
»Psyche?«
»Ja, unser Geschäft soll Psyche heißen.«
»Psyche?«
»Plapper mir doch nicht ständig alles nach, Octavia.«
Octavia nickte. Neugierig geworden sah sie sich den Schmetterling aus Silberfiligran näher an. »Wer hat dir den denn geschenkt?«
»Jemand«, erwiderte Giuditta und errötete.
Octavia lächelte. »Und da du hochrot geworden bist, würde ich ausschließen, dass es eine Frau oder ein alter Tattergreis war.«
Giuditta zuckte nur mit den Schultern.
»Es war doch nicht der Junge … am Tor?«
Giuditta antwortete nicht.
»Er ist kein Jude«, sagte Octavia. »Auch darüber wird in der Gemeinde geredet.«
Giuditta schlug die Augen nieder.
»Gut – nein, schlecht, ganz schlecht«, sagte Octavia seufzend und zeigte wieder auf den Schmetterling. »Und das Ding da, soll es deine Seele darstellen oder seine?«
Giuditta strich zärtlich über die Schmetterlingsflügel. »Unsere …«, sagte sie versonnen.
»Unsere?« Octavia verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. »So weit ist es also schon. Na, das kann ja heiter werden.« Sie seufzte wieder. »Nun gut. An die Arbeit. Eins nach dem anderen. Jetzt muss ich erst die Näherinnen finden. Und du kümmerst dich um die Entwürfe für die Kleider.« Octavia ging zur Tür. »Nein, du kommst mit mir. Wenn man uns steinigen sollte, sind wir wenigstens zusammen.«
Giuditta stand lachend auf, steckte den Schmetterling ein, warf sich den schweren Umhang aus gewalkter Wolle über und verließ mit Octavia das Haus. »Ich muss Stoffe kaufen«, sagte sie auf der Treppe.
»Du solltest dir einen neuen Kopf kaufen, Mädchen«, erwiderte Octavia. »Und mir gleich einen dazu. Ist dir eigentlich klar, dass wir drauf und dran sind, eine riesige Torheit zu begehen?«
»Ja«, erwiderte Giuditta lachend.
»Ja, verdammt noch mal«, rief Octavia laut, während sie aus der Tür in den Bogengang vor dem Haus trat. Als sie ihren Ehemann dort antraf, sagte sie zu ihm: »Messer Moneta, gib mir einen Goldtron, ich muss eine Torheit begehen.«
Ihr Ehemann sah sie stirnrunzelnd an, dann lächelte er jedoch, griff in die Börse an seinem Gürtel und gab ihr die Münze.
»Du glaubst wohl, ich mache Spaß, mein lieber Mann?«, fragte Octavia. Sie wandte sich zu Giuditta um. »Mein Herr Pfandleiher glaubt, ich scherze.« Dann sah sie wieder ihren Ehemann an. »Merk dir das. Ich habe dich gewarnt, dass ich im Begriff bin, eine Torheit zu begehen, und du hast mich noch dazu ermutigt«, sagte sie und richtete den Finger auf seine Brust.
Ihr Ehemann lächelte, auch wenn er den leisen Verdacht hatte, nicht genau zu begreifen, was da vor sich ging.
Octavia hakte sich bei Giuditta ein und schob sie in Richtung der Brücke des Ghetto Nuovo.
Als sie am inneren Tor vorbeikamen, blieb Giuditta stehen. Sie streichelte das Holz, durch das sie Mercurio berührt hatte, und schloss die Augen bei dem Gedanken, wie sich alles ganz plötzlich verändern konnte. Dieses Tor hatte sich von einem Symbol ihres Gefangenseins in ein Zeichen der Liebe verwandelt.
Octavia versetzte ihr einen Stoß. »Alle beobachten dich.«
»Das ist mir gleich«, erklärte Giuditta lachend.
Nachdem sie die Brücke hinter sich gelassen hatten, schlenderten sie die Fondamenta degli Ormesini entlang und begutachteten die Auslagen der Spitzen- und Stoffläden.
»Ist das da etwa dein Christ?«, fragte Octavia und deutete auf einen Mann um die dreißig mit einem kräftigen Kiefer.
Giuditta sah zu dem Mann hinüber. »Aber nein!«, rief sie empört. »Mercurio ist doch nicht so alt. Und außerdem ist er viel schöner!«
Octavia seufzte theatralisch. »Mercurio … was haben diese Christen nur für Namen. Bei den alten Römern war der Gott Merkur der Schutzpatron der Diebe. Aber dein Mercurio ist doch kein Dieb, oder?«
»Nein … natürlich nicht …« Giuditta lächelte verlegen.
Im gleichen Augenblick sah sie,
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