Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest
als nur halb verliebt, aber jetzt bin ich es nicht.«
»Es tut mir leid! Verzeihen Sie mir, bitte.«
Sie hielt seinen Kopf fest, schlüpfte unter ihm hervor und legte seinen Kopf auf das Plastikgewebe der Sonnenliege. Einen Augenblick stand sie neben ihm und sah auf ihn hinunter. Zum Glück war es dunkel, und er konnte es gerade noch vermeiden, seiner lächerlichen Schamhaftigkeit nachzugeben.
»Ich werde versuchen, Ihnen zu vergeben. Aber von nun an müssen Sie wirklich sehr brav sein. Ich muß Sie jetzt verlassen.«
Der wohlbekannte Mund senkte sich langsam auf seinen und umspielte seine Lippen mit weichen, warmen Bewegungen. Unwillkürlich schlang er die Arme um sie und umklammerte sie. Plötzlich stöhnte er laut auf und schnellte wie besessen hoch, elektrisiert von dem plötzlichen, kraftvollen, kurzen Griff. Sie löste sich von ihm, lachte von der Tür her leise und spöttisch und war verschwunden.
Er blieb zitternd liegen und sah zu den Sternen auf. Dann ging er hinein, duschte eiskalt und gab einen Weckauftrag für neun Uhr. Es war wenige Minuten vor drei Uhr. Er fand den Schalter für die Terrassenbeleuchtung und sammelte seine Kleider ein. Nachdem er sie geordnet und aufgehängt hatte, schaltete er das Licht aus und trat wieder hinaus in die Aprilnacht. Er setzte sich nackt auf die breite, rauhe Betonmauer am Ende der Terrasse und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Hauswand. Die Knie hatte er angezogen, die Unterarme lagen auf den Knien, und die Hände ließ er baumeln; im Mundwinkel steckte eine Zigarette. Sein Blick wanderte nach links und vorbei an architektonischen Spielereien senkrecht nach unten, wo ihm in der verschwommenen Dunkelheit aus der gepflasterten Tiefe der Tod entgegenstarrte. Blickte er geradeaus, so sah er die nachtdunkle See und fühlte den langsamen Puls der Dünung und der Gezeiten. Zu seiner Rechten sah er im Dunkeln ein paar Lichtreflexe auf der die sterilen Sonnenliege, einem Requisit in einem Spiel, das jetzt vorüber war. Der Wind hatte aufgefrischt und war beinahe unangenehm kühl geworden. Sein Herz pochte ein wenig zu schnell, und er hatte dumpfe Kopfschmerzen. Aber diese physischen Symptome waren nichts, verglichen mit seinen verletzten Gefühlen. Charla hatte ihn mit einem einfachen, gewöhnlichen Kniff zum Clown gemacht, hatte seine Bestürzung zu einer Posse gemacht und ihm symbolisch bewiesen, daß es in ihrer Macht lag, seinen Stolz, seine Würde und seine Männlichkeit nach Lust und Laune zu zerstören.
Verbittert dachte er an alles, was er hätte tun sollen. Ein anderer Mann, ein wirklicher Mann, wäre bei diesem willkürlichen Einbruch in die Privatsphäre zornbrüllend aufgesprungen, hätte sie gepackt, auf die Liege geschleudert und sie unter den Sternen vergewaltigt, als gehörige Strafe für ihre Unverschämtheit. (Aber vielleicht wollte sie das in Wirklichkeit von ihm!)
Was hatte ihm vor langer Zeit die Fähigkeit geraubt, mit Leuten wie Charla fertigzuwerden? Er blickte hinaus aufs Meer; warum sollte er sich vor etwas oder vor jemandem fürchten? Das Meer blieb bestehen, die Menschen an den Küsten wechselten, aber gegen die immerwährenden Sterne war die See geringer als das Leben eines Menschen. Im Vergleich zum Meer und zu den Sternen, was bedeutete da der Griff eines Marktweibes, eine kleine Demütigung, für einen einzelnen Mann, an einem einzigen Abend?
Er dachte an ihre Hände. Sie waren klein, kräftig, fast breit, wunderbar gepflegt, mit langen, gebogenen Nägeln und kräftigen Handballen.
Er stöhnte; dann schnippte er die Zigarette Richtung Meer und ging zu Bett.
Kapitel 5
Der Sitzungssaal des Vorstandes lag im sechzehnten Stockwerk. Durch das große Fenster sah man die Bucht und ein Stück des Damms und in der Ferne die pastellfarbenen Hotels am Strand. Der Raum war in Limonengrün und Weiß gehalten; der große runde Tisch und die Armstühle waren matt schwarz.
Um den Tisch hatten acht Männer Platz genommen. Links von Kirby saß D. LeRoy Wintermore und rechts von ihm Hilton Hibber, ein grobschlächtiger, blasser Mann, der die Treuhandabteilung jener Bank vertrat, die mit der Abwicklung von Omar Krepps Testament betraut war. Die anderen fünf Männer waren Direktoren von Krepps Enterprises. Sie hatten schon seit jeher bedrückend auf Kirby gewirkt. Er konnte sie nie von einander unterscheiden. Ihre Namen klangen irgendwie ähnlich: Grumby und Groombaw und Gorman. Sie trugen schneeweiße Hemden, goldene Accessoirs und wirkten sehr
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