Das Mädchen, die goldene Uhr und der ganze Rest
funktioniert, dann werde ich es dir erklären.«
Sie sah ihn mürrisch und zweifelnd an. Schließlich nickte sie. Er rückte ganz nahe an sie heran, legte den Arm um sie und hielt die Uhr in beiden Händen vor ihr. »Leg deine Hände über meine.«
Sie tat wie geheißen. »Was hat diese alte goldene Zwiebeluhr da ...«
Die Welt war rot und sie war erstarrt. Vielleicht konnte man niemanden in die rote Welt mitnehmen, konnte niemanden aus der ›wirklichen‹ Zeit herausnehmen. Er ließ den silbernen Zeiger zurückschnellen.
»... mit zu tun?« fragte sie.
»Diesmal berührst du die Uhr!«
»Entschließ dich!« grollte sie. Wieder war sie eine Statue im roten Dämmerlicht.
Er kehrte in die Wirklichkeit zurück. »Diesmal legst du die Finger so hin, den Daumen auf die Aufziehwelle, und wenn ich auf die Welle drücke, drückst du auch und drehst ein wenig und ...«
Er saß allein auf der Bank, das Mädchen, das er in den Armen gehalten hatte, war verschwunden. Auch die Uhr war verschwunden.
Er meinte die Wärme ihres geschmeidigen Körpers noch neben sich zu spüren. Sie war ins Nichts verschwunden, und dieser Schock war noch fürchterlicher und jagte ihm mehr Angst ein als sein erster Ausflug in die rote, schweigende Welt.
Zu zweit konnte man also nicht gehen.
Kirby saß wie betäubt da. Er begriff, was er ihr angetan hatte. Sie besaß weder die Reife noch das nötige Wissen, um das stille Entsetzen der anderen Welt zu verkraften. Er starrte in die Ferne und sah sie nicht. Sie war zwar pfiffig, aber ihr einfacher Verstand würde an dem Erlebnis zerbrechen. Ein fürchterlicher Gedanke kam ihm. Womöglich gab sie der Uhr die Schuld und schleuderte sie ins Meer. Die Uhr würde stehenbleiben, und Bonny Lee wäre für immer in der roten Zeit gefangen. Niemand konnte sie dort sehen oder hören, und der Rest ihres Lebens würde womöglich in einer halben Stunde wirklicher Zeit ablaufen.
Schuldbewußtsein übermannte ihn, weil er blödsinnigerweise und Bonny Lee Beaumont, ohne es zu wollen, etwas Ungeheuerliches angetan hatte.
Kapitel 9
Erst als Kirby aufstand, entdeckte er hinter der Bank einen kleinen Stoß von Kleidungsstücken - eine limonenfarbene Hose, weiße Sandalen, eine weiße Bluse mit einer aufgedruckten gelben Figur, ein gelbes Jäckchen, eine weiße Tasche. Er hob alles auf und legte die Sachen auf die Bank. Nur der blaugrüne Büstenhalter und das dazu passende Höschen fehlten.
Drei Meter hinter ihm erklang ihre Stimme. »Hallo! Hallo Schatz! Das ist verdammt lustig!«
Er wirbelte herum. Sie stand hinter ihm, braun, schön, atemlos und vor Aufregung glühend. Die Sonne glitzerte auf der goldenen Uhr in ihrer Hand. Sie legte die Finger auf die Aufziehwelle. »Gib sie mir!« rief er, aber noch ehe er das letzte Wort herausgebracht hatte, war sie wieder verschwunden.
Er hörte dünne Schreie, die wie das Kreischen der Möwen klangen. Sein Blick wanderte über den Strand nach Norden, wo die Menge am dichtesten war. Es sah aus, als hätten die Leute alle gleichzeitig durchgedreht.
Er blinzelte gegen das grelle Licht und glaubte in einiger Entfernung Bonny Lee zu entdecken. Sie tauchte auf und war gleich darauf wieder verschwunden; aber er war sich nicht einmal sicher.
Was ihre Reaktion auf die rote Welt betraf, hatte er sich offenbar jämmerlich verschätzt. Bonny Lee dachte ausschließlich praktisch. Sie kümmerte sich nicht einen Deut um Theorie. Ihr ging es nur darum, daß es funktionierte, und er hatte ihr gezeigt, wie sie es zum Funktionieren brachte. Sie hatte ihm - soweit er das mit seiner begrenzten Erfahrung sagen konnte - ausreichend und mit viel Geschick bewiesen, daß sie eine erwachsene Frau war. Sie hatte sich auch eine zu ihr passende Lebensphilosophie zurechtgelegt. Dennoch war sie nur ›beinahe zwanzig‹. In der Frau steckte noch das Kind, und dieses Kind hatte nie viel Gelegenheit für die Spiele der Kindheit gehabt. Dazu war sie ein sorgloser, respektloser, komischer und erfinderischer Wildfang; sie strotzte vor Gesundheit, war kräftig, flink und unermüdlich.
Er blickte angestrengt in die Ferne, wo die Menge schreiend hin- und herrannte. Was hatte er, ohne es zu wollen, an diesem schönen Dienstag vormittag auf die Menge losgelassen? Einen kleinen Tiger, der in seiner Verspieltheit trotzdem furchterregend war? Er dachte daran, wie er dem fetten Jungen die Möwe unter das T-Shirt gesteckt und wieviel Spaß ihm der Schabernack gemacht hatte. Er war über sich selbst erstaunt
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