Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen in den Wellen

Das Mädchen in den Wellen

Titel: Das Mädchen in den Wellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Barbieri
Vom Netzwerk:
benötigte, schenkte er freitags bedürftigen Gemeindemitgliedern, Säcke voll Gemüse und Blumen in einem Schuppen am Straßenrand.) Maire half ihm oft bei der Ernte und beim Verpacken. Sie und Pfarrer Ray liebten die Gartenarbeit und tauschten Tipps aus über Schädlingsbekämpfung (»Manche von Gottes Geschöpfen brauchen hin und wieder einen kräftigen Wasserstrahl«, sagte er gern mit einem Blick auf die Blattläuse auf den Zucchini) sowie über Methoden, Tropenpflanzen dazu zu bringen, dass sie auch in kühleren Gefilden gediehen. An jenem Nachmittag trug er eine löchrige Jeans und ein Notre-Dame-Sweatshirt, das seine kräftige Statur zur Geltung brachte (mit über sechzig hatte er mehr Bauch als früher), dazu ein Paar Gummistiefel und einen Anglerhut aus Stoff.
    »Wie geht’s Ihnen heute, Maire?«, erkundigte er sich, erhob sich, zog seine Arbeitshandschuhe aus und klemmte sie unter den Arm, so dass er ihr die Hand geben konnte. Sie war eines seiner Lieblingsschäfchen.
    »Gut, danke.«
    »Haben sich Ihre Gäste schon eingewöhnt? Die Insel bietet eine willkommene Abwechslung zum Stadtleben, besonders um diese Jahreszeit.«
    »Ja, dieses Jahr war die Hitze arg«, pflichtete sie ihm bei. »Sie haben sicher von den Problemen meiner Nichte gehört.«
    Er nickte. »Die konnten einem leider kaum entgehen.«
    »Die Presse war unerbittlich.«
    »Auf Burke’s Island gibt’s zum Glück außer Jonathan Dee keine Reporter.« Dee, der Herausgeber und einzige Journalist der örtlichen Zeitung, des Burke’s Island Record , besuchte Gott sei Dank gerade seine Tochter in Kalifornien, sonst hätte er sich bestimmt auf die Story mit Nora gestürzt.
    »Bis jetzt nicht. Ich wünschte, ich könnte noch mehr für sie tun.«
    »Sie tun sicher, was Sie können«, meinte er. »Kommt sie hier ein wenig zur Ruhe?«
    »Sie hat alles im Blick. Entspannt wirkt sie eigentlich nur beim Schwimmen.«
    »Das Meer erfindet sich mit jeder Welle neu. Vielleicht gelingt ihr das auch irgendwann. Jeder braucht Zeit, seinen eigenen Weg zu finden, zu seinen Bedingungen. Wie ich höre, haben Sie noch einen Gast.«
    »Ja. Owen. Owen Kavanagh.« Sie blickte aufs Meer hinaus und biss sich auf die Lippe.
    »Ist irgendetwas?« Er setzte sich auf die Gartenbank und winkte sie zu sich heran.
    Sie nahm seufzend neben ihm Platz. »Sein Schiffbruch erinnert mich an den Tag, an dem ich Joe und Jamie verloren habe, gerade als ich das Gefühl hatte, mich auf die Zukunft konzentrieren zu können.« So viele Fragen blieben: Hatten die leer gefischten Gründe Joe dazu gebracht, ein größeres Risiko einzugehen als früher? Wäre der Unfall vermeidbar gewesen? Hatte Joe oder Jamie mit einem kleinen Fehler eine Abfolge katastrophaler Ereignisse in Gang gesetzt? Das würde sie nie erfahren. Der Funkkontakt war schon bald abgebrochen, das letzte Gespräch von Zögern, Anspannung und statischem Rauschen geprägt gewesen.
    Ray nickte stumm.
    »Jamie war nicht mein Kind. Wir haben ihn adoptiert.«
    »Das wusste ich nicht.« Ray hatte die Gemeinde vor zehn Jahren nach dem Tod des früheren Geistlichen Noonan übernommen. »Er war trotzdem der Ihre.«
    »Ich konnte keine Kinder bekommen«, fuhr Maire fort. »Die Ärzte wussten nicht, warum. Alle Frauen in meiner Familie hatten Kinder. Es deutete nichts darauf hin … Auf der Suche nach Antworten sind wir nach Boston gefahren.« Am Haus von Patrick und Nora vorbei, in der Hoffnung, einen Blick auf sie zu erhaschen, obwohl sie es nicht gewagt hatte zu klingeln. »Damals war die Medizin noch nicht so weit wie heute. Obwohl die mir auch nicht hätte helfen können.«
    »Warum nicht?«
    »Weil das die Strafe dafür war, dass ich Maeve enttäuscht hatte.«
    »Ihre Schwester.«
    »Vor Nora hat sie ein Kind verloren. Ich hatte immer das Gefühl, dass das meine Schuld war. Ich war dabei gewesen. Ich hätte …«
    »Sie dürfen nicht so hart mit sich selbst ins Gericht gehen.«
    »Dass Jamie mir genommen wurde, habe ich als eine Art karmischer Vergeltung interpretiert.«
    »Und jetzt?«
    »Und jetzt scheine ich mit Nora, den Mädchen und Owen eine zweite Chance zu bekommen.«
    »Das Leben bietet immer eine zweite Chance, Maire.«
    »Ja, aber nicht für mich. Ich fürchte, mir wird die Zeit nicht reichen …«
    »Wofür? Sie sind erst sechzig, jung genug für einen Neuanfang.«
    Hoffentlich, dachte sie, hatte er recht.
    Auf dem Heimweg fuhr Maire am Cottage vorbei. Davor stand Alisons alter schwarzer Capri. Sie half gerade, endlich

Weitere Kostenlose Bücher