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Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht

Titel: Das Mädchen mit dem zweiten Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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als auch Katholiken hatten Geldsorgen und kämpften zudem mit der Schwierigkeit, die umherziehenden Truppen während der Winterzeit zu versorgen und Quartiere für sie zu finden. Lebrun hatte ihr erzählt, dass die Königinmutter sich daher mit den Hugenotten in intensiven Verhandlungen über einen Frieden befand.
    Der Geheimdienstchef wurde zunehmend zufriedener mit den Ergebnissen seiner inquisitorischen Befragungen, bei denen Madeleine kaum noch Fehler machte. »Morgen werden wir einen kleinen Ausflug machen. Du musst die Umgebung, in der du angeblich gelebt und dich aufgehalten hast, zumindest gesehen haben«, sagte er schließlich.
    Es war seltsam für sie, als sie am nächsten Tag an seiner Seite – sie trug wieder ein verschleiertes Gewand – zum ersten Mal durch die Stadt lief, in der sie schon seit so vielen Wochen lebte. Zwei Männer begleiteten sie zu ihrem Schutz. Sie war im ersten Moment wie betäubt von den vielen Menschen, den fremden Gerüchen, dem Gestank und den Geräuschen um sich herum. Erst jetzt fiel ihr auf, wie abgeschirmt und einsam sie im Louvre gelebt hatte. Lebrun zeigte ihr die Straßen, in denen sie angeblich in den ersten Tagen umhergeirrt war, und das Ufer der Seine, an dem sie geschlafen hatte. Er führte sie sogar zu dem schmalen, heruntergekommenen Haus, in dem auch Jeanne Gaulier gelebt hatte. Es stand seit dem Tod der alten Frau leer. Eine Maus huschte durch den Flur, als Lebrun mit einem Leuchter mit ihr durch die Gänge schritt. »Präge dir das alles gut ein«, sagte er. »Hier in dieser Kammer hast du geschlafen – auf einem Lager aus alten Decken und Stroh …«
    Sie nickte stumm. Es hatte etwas Gespenstisches, sich das alles vorzustellen.
    »Sieh dir jede Einzelheit genau an. Auch die Häuser, die Straßen, die Kirchen«, sagte er später, als sie durch die Stadt zurückgingen.
    Doch sie schwieg und schaute stattdessen entgeistert zu der großen Kathedrale mit ihren eckigen Türmen, die ihr bekannt vorkam – es war Notre-Dame. Lebrun hatte es vorhin gesagt, aber sie hatte kaum hingehört. Ihr Blick glitt von den Türmen weiter zu den Fassaden der hohen Häuser und zu der Brücke, die über das Wasser der Seine führte, und ein inneres Zittern ergriff sie plötzlich.
    »Was ist mit dir?«, fragte Lebrun, da sie unvermittelt stehen geblieben war.
    »Nichts«, antwortete sie, mühsam beherrscht, doch es war gelogen. Denn sie war hier nicht das erste Mal. Sie brauchte sich die Bilder von Paris nicht einzuprägen – sie kannte die Stadt bereits. Unzählige Male war sie hier schon durch die Straßen gerannt.
    Madeleine spürte, wie ihr der kühle Wind durch den Schleier hindurch ins Gesicht schnitt. Der Traum, den sie immer wieder gehabt hatte, genau hier fand er statt. Nicolas hatte recht gehabt. Sie erinnerte sich jetzt wieder, wie er damals im Wald, als sie ihm davon erzählt hatte, gesagt hatte, dass die Beschreibung der Kathedrale auf Notre-Dame in Paris passen würde. Alles war tatsächlich so, als wäre sie schon viele Male hier gewesen. Madeleine schauderte – es war kein Traum, es war die Wirklichkeit, die sie gesehen hatte …

TEIL IV
    Die Rückkehr

88
    G uillaume schaute vor sich über die weite Ebene bis zu dem Wäldchen. Es würde mehr als etwas Glück brauchen, um dort ein Wildschwein oder zumindest ein, zwei Hasen zu jagen. Doch es war einen Versuch wert. Entschlossen schlug er den Kragen seines dicken Wollumhangs hoch und trieb sein Pferd an. Obwohl der März sich seinem Ende näherte, war es noch immer empfindlich kalt. Nur zögerlich zeigten sich die ersten Knospen an den kahlen Bäumen, und die Menschen litten Hunger. Selbst in Châtillon. Nach dem langen Winter und dem Krieg gab es kaum noch Getreide oder andere Lebensmittel. Soldaten und Söldner hatten in den Dörfern und Städten das letzte Essbare genommen, und das, was die Leute nicht freiwillig gaben, wurde ihnen inzwischen mit Gewalt entrissen. Guillaume zog die Stirn kraus. Was das anging, waren Katholiken und Protestanten gleich, musste er leider zugeben. Coligny hatte immer wieder versucht, mit harter Hand gegen diese Plünderungen und Raubzüge vorzugehen, aber seitdem man den Männern nicht einmal mehr ihren Sold zahlen konnte und die desolate finanzielle Lage den Frieden erzwungen hatte, war es unmöglich geworden, die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Überall kam es zu Überfällen, zu Diebstählen und Vergewaltigungen. Vor allem die ausländischen Söldner, die allein für klingende

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