Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Verdammt. Schon wieder Tränen. Was war nur los mit ihr? Früher war sie jedenfalls belastbarer gewesen.
»Was macht Tess denn den ganzen Tag?«, wollte Deirdre wissen.
»Sie hilft mir ein bisschen im Haushalt, aber ansonsten treibt sie sich auf dem Hof herum. Sie liebt Tiere und hält sich oft in Dermots Nähe auf, löchert ihn mit ihren Fragen. Er arbeitet hier. Sie … sie benimmt sich ein bisschen seltsam. Kürzlich habe ich sie dabei ertappt, wie sie meinem älteren Bruder im Schlaf den Mund öffnen wollte. Er hat sie angeschnauzt, und sie ist weggelaufen. Als ich sie später zur Rede gestellt habe, hat sie behauptet, sie wollte seine Zähne überprüfen! Ach, ich weiß auch nicht. Manchmal ist es schwierig mit ihr, weil sie nicht sagen kann, was sie denkt.«
»Ich könnte Ihnen eine Hilfe organisieren, jemanden, der regelmäßig vorbeikommt …«
»Nein!«, unterbrach Kate heftig, doch dann senkte sie beschämt die Stimme. »Mein Bruder mag es nicht, wenn Leute
im Haus sind. Er ist seit dem Tod unseres Vaters sehr verändert.«
Doch Deirdre ließ nicht locker. Unbeirrt fuhr sie fort: »Ich werde mich erkundigen, ob es hier in der Gegend eine Tagesgruppe für Tess gibt. Und wenn nicht, dann könnte ich doch gelegentlich vorbeikommen und Ihnen ein bisschen unter die Arme greifen, wenn ich gerade in der Gegend bin. Ich glaube, dass ich Tess helfen kann, und unter Umständen könnte ich auch mit Ben arbeiten. Damit er ein bisschen selbständiger wird, verstehen Sie?«
Kate lächelte. Die Schule arbeitete seit Jahren mit Ben und hatte sich davor auch um Tess bemüht, aber wirklich sichtbare Fortschritte hatten sie beide nicht gemacht. Natürlich litt Ben unter einer deutlich schwereren Form von Autismus als Tess, und Kate hatte wenig Hoffnung für ihn. Er kam ihr sehr viel hilfloser vor, als Tess es jemals gewesen war. Trotz ihrer Bedenken willigte sie ein und bedankte sich bei der Schwester für ihre Mühe. Als Kate die Tür hinter ihr schloss, stellte sie fest, dass sie sich auf den nächsten Besuch freute, und ihr wurde bewusst, wie einsam sie war.
Kapitel 13
1951
M aura schrie vor Schmerzen, als die Hebamme versuchte, das fast schon blaue Baby aus ihrem Leib zu ziehen. Sie lag jetzt seit über neun Stunden in den Wehen, und die Schmerzen waren unerträglich, viel schlimmer jedenfalls als bei Seáns Geburt. Michael war weit und breit nicht zu sehen. Er hatte die Hebamme geholt und Seán zu Mauras Mutter gebracht, danach war er verschwunden. Noch ein letztes Pressen, dann glitt ein kleines Mädchen heraus und fing, zur großen Erleichterung der Hebamme, an zu schreien.
»Geschafft, Mrs. Byrne. Ein süßes, kleines Mädchen! Ich wasche Sie jetzt, und dann suche ich mal nach Ihrem Mann.«
Als Maura das Baby im Arm hielt, regte sich ihr schlechtes Gewissen. Wie hatte sie damals hoffen können, dieses wunderhübsche Baby zu verlieren.
»Sie ist wunderschön! Noch ein Rotschopf! Haben Sie schon einen Namen?«, wollte die Hebamme wissen, die schon bei Seáns Geburt dabei gewesen war.
»Kate«, erwiderte Maura leise. »Sie soll Kate heißen. Der Name hat mir schon immer gut gefallen.« Sie betrachtete das niedliche Gesicht ihrer Tochter und strich ihr über das rötliche Haar, während langsam eine einzelne Träne über ihre Wange rollte und auf das Gesicht des schlafenden Babys fiel. »Ich hatte bei meiner Geburt die gleiche Haarfarbe. Wenn sie
groß ist, wird sie bestimmt genauso dunkel wie ich«, murmelte sie, mehr zu sich selbst als zur Hebamme. »Seáns Haare waren heller.«
Als die Hebamme gegangen und sie alleine im Haus war, küsste Maura das schlafende Kind und drückte es an sich, aus Furcht, es könnte sich in Luft auflösen.
»Du sollst als Frau niemals so leiden wie ich, Kate. Ich bringe dir alles bei, was du zum Überleben brauchst. Du wirst dich von niemandem ausnützen lassen, Kate, und kein Mann wird je seine Hand gegen dich erheben. Ich mache dich stark, und wenn es das Letzte ist, was ich in diesem Leben tun kann.« Maura ließ sich in die Kissen zurücksinken und fiel in einen tiefen Schlaf, wie das Baby in ihrem Arm.
Als sie wieder erwachte, war es dunkel. Sie stand auf, legte das Baby in die Wiege, aus der Seán mittlerweile herausgewachsen war, und schlüpfte wieder ins Bett. Eine Stunde später kam Michael nach Hause. Maura hörte, wie er unter lautem Getöse in der Küche Tee kochte, bevor er ihr Zimmer betrat. Er riss Schubladen und Schranktüren auf und zu, und der Geruch von
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