Das Maedchen mit den Schmetterlingen
Menge schweifen, auch wenn er sich dabei auch ein bisschen lächerlich vorkam. Was hätten die Provos an einem Samstag hier verloren? Ihren Bananenvorrat aufstocken? Trotzdem, irgendjemand hatte kürzlich seine kleine Unterredung mit Rabbit beobachtet. Gut möglich, dass McCracken jemanden mit seiner Verfolgung beauftragt hatte.
Der Anblick seines Freundes ließ Sam zusammenzucken: das Gesicht war geschwollen, die Lippen aufgeplatzt. Er schob sich noch ein wenig näher an den Verkaufsstand heran, während sein Sohn unter Zappeln und Stöhnen verzweifelt versuchte, sich aus Sams Umklammerung zu lösen. Sam drückte noch fester zu, und der Junge zerrte immer mehr und zeterte, dass er es Mama erzählen würde. Schließlich ließ Sam los, der Junge fiel der Länge nach hin, und das Eiskrem-Geld rollte über den belebten Bürgersteig in alle Himmelsrichtungen. Er fing an schreien, und Sam legte ihm die Hand auf den Mund, wobei er über seine Schulter hinweg einen Blick auf Rabbit warf, der keine drei Meter hinter ihm stand und ihn fixierte. Sam schnappte nach Luft, als er bemerkte, dass die Hälfte von Rabbits rechtem Ohr fehlte. Ein langer unregelmäßiger Schnitt zog sich von seinem Kiefer bis zur Gurgel. Es war nur eine Fleischwunde, aber offenbar hatte jemand versucht, seinem Freund einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Rabbit ließ seinen leeren, ausdruckslosen Blick einen Moment auf seinem Freund ruhen, blinzelte kurz und senkte den Kopf, dann wandte er sich wieder seinem Stand zu.
Sam drehte sich um und gab vor, sich für die Auslagen in einem Schaufenster zu interessieren, während er seine Gedanken sammelte. Sein Magen krampfte sich zusammen, und er merkte, wie ihm die Tränen in die Augen schossen. Er hätte Rabbit gerne gesagt, wie leid es ihm tat, hatte aber verstanden, dass er verschwinden sollte. Einen Augenblick später setzte er sich in Richtung Henry Street in Bewegung, zog seinen protestierenden Sohn an der Hand hinter sich her und hoffte, dass er das, was seinem Freund widerfahren war, eines Tages, wenn die Lage sich beruhigt hatte, wiedergutmachen konnte. Aber heute garantiert nicht mehr.
Kapitel 31
1974
Z wei Monate nach Leroys Rückkehr in die Anstalt saß Tess schweigend in Dr. Cosgroves Büro. Sie hatten ihre wöchentliche Sitzung, und Tess bewegte langsam den Mund, als wollte sie etwas sagen. In letzter Zeit wurde sie immer verschlossener, und Cosgrove beobachtete sie genau. Er wusste, dass sie ihm gleich eine ihrer seltenen Fragen stellen würde und war froh darüber, denn dann musste er ihr nicht erzählen, dass ihre Geschwister auf keinen seiner vier Briefe reagiert hatten. Er wollte vermeiden, dass sie sich aufregte, und wusste, wie sehr sie sich bemühte, die Anstaltsregeln zu befolgen.
Seit Leroys Prügelei hatte Tess oft und lange an den See denken müssen und versucht, sich daran zu erinnern, ob sie ihren Vater so auf den Kopf geschlagen hatte wie Leroy diesen Jungen. Aber sosehr sie sich auch anstrengte, sie sah ihn immer nur am Ufer liegen. Sie hatte keine Ahnung, wie das Blut auf ihr Kleid gekommen war. Sie wusste, dass es um ein Geheimnis ging, ein Geheimnis, das sie nicht verstand, und der Gedanke machte ihr Angst. Immer, wenn sie an das Blut auf ihrem Kleid dachte, befühlte sie ihre Schneidezähne. Aber warum machte sie das? Sie wollte nicht, dass ihr Daddy tot war, auch wenn er das Geld für den Hof vertrank und unfreundlich zu Seán war. Wenn sie sich doch bloß daran erinnern könnte, dass sie ihn geschlagen hatte, dann könnte sie sich entschuldigen
und nach Hause gehen. Sie war jetzt schon so lange hier in der Klinik. Vielleicht konnte sie sich ja trotzdem entschuldigen und dann wieder in ihr normales Leben zurückkehren. Sie beschloss, Dr. Cosgrove heute danach zu fragen.
»Darf ich eine Frage stellen?«
»Ja, Tess.«
»Wenn ich mich dafür entschuldige, dass ich Daddy geschlagen habe, darf ich dann nach Hause gehen?«
Cosgrove, der träge in seinem großen Ledersessel gesessen hatte, schnellte plötzlich hoch. Hatte er richtig gehört?.
»Hast … hast du deinen Dad geschlagen, Tess? Möchtest du mir das sagen?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Also, was meinst du dann, Tess?«
»Man muss sich für schlimme Sachen entschuldigen, damit die anderen nicht mehr böse auf einen sind. Mark musste sich bei Leroy entschuldigen, weil er ihn geärgert hat, und Leroy musste sich bei Mark entschuldigen, weil er ihn gehauen hat, und jetzt sind sie nicht mehr böse
Weitere Kostenlose Bücher