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Das Mädchen und der Zauberer

Das Mädchen und der Zauberer

Titel: Das Mädchen und der Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Diebstahl handelt. Bei Diebstahl ist in der Karibik jede Polizei auf verlorenem Posten. Diebstahl ist kein Delikt, sondern mehr eine sportliche Betätigung. Vor allem, wenn die Bestohlenen Touristen sind.
    Coulbet hatte nun Zeit, über alles nachzudenken. Totagan zu verhaften, hatte er keine Gründe. Nach San Juan zu fliegen und mit dem Schiff zurückzukommen, ist nicht strafbar. Der Polizei diese absolute Privatsache zu verschweigen, auch nicht. Und die Puppe mit dem Beil im Herzen? Wer konnte Jules beweisen, daß sie von ihm stammte? Alles sprach dafür, die Beweiskette war klar -Josephine, die verstoßene Geliebte, Jules ihr liebender Onkel, der Haß einer gedemütigten Frau, die Rache aus dem Unendlichen, dem Voodoo, zu der nur Totagan fähig war – alles war so herrlich logisch, aber einen Beweis außer der Gedankenkette gab es nicht. Nichts Greifbares, außer den Fetisch. Und den ließ Jules sich nie unterschieben.
    Man sollte Petra Birot – in ein paar Wochen würde sie ja so heißen – über den Voodoo aufklären, dachte Coulbet. Auch wenn wir oft den Kopf darüber schütteln, man darf es nicht ignorieren. Wie war das mit dem Verrückten, damals, vor drei Jahren? Ein Neger, lebte seit zehn Jahren in der Irrenabteilung des Hôpital Civil, unheilbar, die Folge einer Hirnhautentzündung. Gewalttätig, gefährlich, man hielt ihn wie ein wildes Tier in einer Zelle. Dabei ein Bulle von Kerl, der, wenn er zu toben begann, nicht mehr von vier Wärtern gebändigt werden konnte. Wie bei einem Raubtier mußte man ihn mit einem Schuß aus einem Narkosegewehr zur Ruhe bringen.
    Und dieser Irre brach eines Tages aus. Auf dem Weg zum Duschraum schlug er die Köpfe der beiden ihn begleitenden Wärter gegeneinander, und von da ab konnte niemand ihn mehr aufhalten. Seinen Weg bis zum Ausgang pflasterte eine Reihe Besinnungsloser.
    Petrus Balaquer – so hieß der Neger – blieb drei Tage lang verschwunden. Die Großfahndung, die Coulbet leitete, war die gründlichste, seit Frankreich auf Martinique regierte. Sie lief sich tot. Jede Stunde brachte der Rundfunk die Warnungen vor Petrus, aber keiner bekam ihn zu Gesicht. Am vierten Tag aber meldete sich aus dem Süden der Insel, aus Le Diamant, die Coulbet natürlich bestens bekannte Danielle Paquier, die Drogistin, die Mamissi Wata, wie man sie auch ehrfürchtig nannte, das weibliche Gegenstück zu Totagan.
    »Monsieur le Commissair –« sagte sie am Telefon mit ihrer hohen, heiseren Stimme – »kommen Sie her und holen Sie bitte Petrus ab.«
    »Sofort!« hatte Coulbet ins Telefon gebrüllt. »Danielle, seien Sie vorsichtig! Petrus ist wie ein Panzer, der alles niederwalzt! Bleiben Sie um Himmels willen von ihm weg.«
    Mit vier Wagen und einem Krankentransporter, mit Fesseln und Ketten jagten Coulbet und zwanzig Polizisten an den herrlichen Strand von Le Diamant. Mamissi Wata Danielle Paquier wuchtete ihnen entgegen, ein Fleischgebirge mit dem Rätsel, wie zwei Beine so etwas bewegen konnten und zwei an sich zierliche Füße so eine Masse zu tragen imstande waren. Coulbet atmete auf, als er sie sah. Die Polizisten schwärmten aus, als gelte es einen Sturmangriff. Natürlich war das Narkosegewehr wieder dabei.
    »Wo ist er?« schrie Coulbet.
    »Am Strand. Er schläft.«
    »Was tut er?« brüllte Coulbet mit stoßendem Atem. Das soll ein Herz aushalten!
    »Er erholt sich.« Danielle blickte strafend um sich. »Was wollen die Polizisten hier?« Sie wedelte mit der Hand, als wolle sie Fliegen verscheuchen. »Er war sehr krank, Monsieur, als er zu mir kam. Aber er ist jetzt gesund.«
    »Ein gefährlicher Irrer ist er, Danielle!«
    »Dann sind Sie es auch, Monsieur le Commissair! Petrus ist so vernünftig wie Sie und Ihre Polizisten. Vielleicht ist sogar einer von ihnen verrückter als Petrus …«
    Es war einfach nicht zu fassen: Petrus Balaquer lag tatsächlich schlafend am Meeresstrand im Sand und schnarchte laut und gesund. Aber merkwürdig sah er aus: Sein Oberkörper war rot von Blut, das übrige war mit Seetang abgedeckt, der jetzt, in der heißen Sonne, braun getrocknet war. Sein Kopf aber steckte im gespaltenen Körper eines Hahnes, und dessen Blut war es auch, das über ihn geflossen war.
    Mit mahlenden Backenmuskeln betrachtete Coulbet den Kranken. Voodoo, dachte er. Da haben wir es wieder! Es hat keinen Sinn, Mamissi Wata zu fragen. Wir werden es nie begreifen.
    Die Polizisten bildeten einen Kreis um den Schlafenden, der beste Schütze entsicherte das Narkosegewehr.

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