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Das Mädchen und der Zauberer

Das Mädchen und der Zauberer

Titel: Das Mädchen und der Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Jahre mir noch bleiben? Um mein Wissen nicht mit mir sterben zu lassen, unterrichte ich drei Schüler.«
    »Jeden Tag?«
    »Jeden, Monsieur. Es gibt viel zu lernen.«
    Coulbet verzichtete darauf, diesen Komplex weiter auszufragen. Natürlich hat er drei fleißige Schüler, dachte er verbittert. Natürlich sind diese Drei für jedes Alibi, für jede Zeit vorhanden, natürlich schwören sie alles, was ihrem Meister hilft, und wenn wir ein Foto von Jules an Bord des Schiffes hätten – sie würden beweisen, daß der alte Gauner ihnen das Wahrsagen aus hingeworfenen Hühnerknochen beigebracht hätte und das Foto einen verdammten Doppelgänger zeigte.
    »Sie kommen auch heute?« fragte er nur.
    »Natürlich. Am Abend. Wir wollen die Kraft des Feuers kennenlernen.« Jules lehnte sich zurück. »Der Mensch weiß so wenig vom Feuer.«
    Coulbet erhob sich von der Bank. Er schnippte die Asche von seiner Zigarre und drückte mit Daumen und Zeigefinger die Glutspitze aus. Mit unbeteiligtem Blick, aber innerlich sehr aufgeregt, sah Totagan, wie Coulbet die kaum angerauchte Zigarre in seine Brusttasche steckte.
    »Wie kann ich Ihnen helfen, Monsieur?« fragte er, als Coulbet sinnend vor der Haustür stand und überlegte, ob er die Hütte betreten sollte. Aber wonach sollte man suchen? Die Gefahr, in der Petra schwebte, verursachte keine Spuren. Voodoo war und blieb ein Geheimnis. Die Kraft aus der Unsichtbarkeit.
    »Sie haben mir schon genug geholfen«, sagte Coulbet. Er drehte sich von der Tür weg und ging die zwei Holzstufen hinunter von der Veranda. Auch Totagan erhob sich und begleitete den Kommissar bis zu dem Jeep. »Warten wir nun ab, was weiter passiert. Zwei Möglichkeiten gibt es, Jules: Entweder der Täter greift zur klassischen Methode und benutzt alles zwischen Gift und Pistole, oder er vertraut auf den Zauber seiner alten Voodoo-Götter.« Coulbet stieg in den Jeep und sah Jules herausfordernd an. »Darauf sollte man sich aber nicht verlassen. An dem Opfer werden die Voodoo-Geister zum harmlosen Wind! Es besitzt einen Gegenzauber.«
    Er zündete den Motor und fuhr über den holprigen Urwaldweg zurück, bevor Totagan noch etwas sagen konnte. Mit zusammengekniffenem Mund starrte Jules ihm nach. Ein Gegenzauber, dachte er erschrocken. Das ist es! Ihr Gegenzauber war auf dem Schiff stärker als ich! Was ist es, was sie so stark macht? Wie kann ein Mädchen aus Deutschland stärker sein als ein Voodoo?
    Er ging zurück ins Haus, verriegelte hinter sich die Tür und setzte sich in dem hinteren Zimmer, dem Voodoo-Raum, auf einen großen Holzklotz. Um ihn herum lagen Werkzeuge und Farbtöpfe, meistens leere Konservendosen, reihten sich halbfertige Fetischpuppen an der Wand, Stoffetzen und tönerne Schüsseln mit Knochen und Holzperlen, Muscheln und Samenkörnern. In einem großen runden Gefäß lagen getrocknete, wie zu Leder gewordene abgeschlagene Hahnenköpfe, die farblos gewordenen Kämme mit grellroter Farbe nachgemalt.
    Totagan mischte in eine flache Tonschale ein paar getrocknete Kräuter, legte drei der Hahnenköpfe dazu und steckte das Ganze an. Ein beißender Qualm stieg auf, füllte sehr schnell den kleinen Raum und hätte jeden anderen Menschen erstickt.
    Totagan aber saß wie versteinert auf seinem Holzklotz, atmete tief den Rauch ein und sprach lautlos mit den Göttern. Als Kraut und Hahnenköpfe in der Schüssel verbrannt waren, erhob sich Jules, schwankte mit geschlossenen Augen zu den Fetischen, riß eine der halbfertigen Puppen an sich, schrie mit dumpfer Stimme einen Namen und zerbrach die Puppe zwischen seinen Händen. Dann sank er in sich zusammen, fiel auf den Boden und verlor die Besinnung.
    Es hatte sich angehört, als ob er ›Verbière! Verbière!‹ gerufen hatte.
    Als Robert Coulbet drei Stunden später den Tabakladen von Verbière betrat, hatte ein Wagen der Ambulance den Besitzer gerade zehn Minuten vorher ins Hospital St. Paul gebracht. Seine Tochter Jiuliette saß noch ratlos und weinend hinter der Theke und konnte nicht verstehen, was da vorhin geschehen war.
    »Er stand da«, sagte sie schluchzend zu Coulbet, »da, an dem Schrank, und sagte plötzlich: ›Was für eine Sauerei! Siehst du den Staub oben auf dem Regal?! Alles muß man selber tun! Anstatt dauernd deine Visage zu bemalen, solltest du lieber den Laden richtig putzen! Wenigstens einmal im Monat! Ist das zuviel verlangt?‹ Und ich habe geantwortet: ›Papa, wo ist denn Staub? Ich habe gestern noch gründlich geputzt!‹ Aber er

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