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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Handflächen und Nasen gedrückt wurden. Die Zeit schien für einen Moment stillzustehen. Das Bild meiner Freunde, die das Lufttaxi umringten, brannte sich tief in meine Erinnerung ein.
    Als die kleine Teco-Teco-Maschine vom Boden abhob, wurden die Rufe und guten Wünsche der Aparai vom gleichmäßig brummenden Motorengeräusch verschluckt, die Menschen unter uns wurden kleiner und kleiner, bis sie zu ameisengroßen Pünktchen zusammengeschrumpft waren. Die weitläufige Lichtung mit den Hütten von Bona verschwand langsam aus unserem Blickfeld. Verschluckt vom immergrünen Dickicht des Urwalds, als sei die Siedlung nur eine Fata Morgana gewesen. In diesem Moment war mir noch nicht klar, dass ich etwas hinter mir lassen würde, das ich so nie wieder in meinem Leben finden sollte.

    Araiba arbeitet an einer Überraschung
     
    Die Heimat schmeckt nach Spargel und Schinken
     
    Mein Vater war ohne uns in Mashipurimo zurückgeblieben. Nur für einige Wochen, um alles in Ruhe abzuwickeln, wie er sagte. Aus den Wochen wurden Monate. Mein Vater musste den Transport unserer Besitztümer organisieren, seine ethnografische Sammlung vollenden, Tonbandaufnahmen und Aufzeichnungen fertigstellen. Und Fotos machen, die ich heute archiviere.
    Ich sehe ihn noch vor mir, wie er über das kleine Rollfeld humpelte und uns zuwinkte, als das Lufttaxi abhob. Kurz vor unserer Abreise hatte ihn nämlich ein Skorpion in den Fuß gestochen. Bis zum Erbrechen hatten mir meine Eltern eingebläut, unter gar keinen Umständen in einen Schuh hineinzuschlüpfen, ohne ihn vorher ausgeschüttelt zu haben. Niemals! Überhaupt musste alles umgestülpt oder mit einem Stöckchen ausgeklopft werden, bevor man es benutzte: Tontöpfe, Flechtkörbe, Kessel, Strohhüte, Federschmuck und vor allem Schuhe.
    In der Hektik der letzten Tage hatte mein Vater diese eiserne Regel für den Bruchteil einer Sekunde vergessen. Als der Skorpion zustach, schrie er laut auf: »A aaaaaaauuuhhhhh! Verdammt noch mal, das darf doch nicht wahr sein!« Dann veranstaltete er einen regelrechten Veitstanz, er hüpfte, sprang und tänzelte fluchend im Kreis herum. Er bekam massive Kreislaufbeschwerden und fürchterliche Schmerzen obendrein. Meine Mutter und ich konnten kaum mehr tun, als abzuwarten, was passieren würde. Die Aparai reagierten in solchen Fällen recht pragmatisch. Entweder starb jemand, oder er kam durch. Toipä. Angst vor dem Tod war den meisten Menschen im Urwald fremd. Überlebensstrategie in einem Umfeld, in dem es jeden jederzeit erwischen konnte.
    Meine Mutter feuerte Papa an, durchzuhalten, bis die kritische Phase überstanden war. Nach ein paar Stunden ging die Schwellung an der Einstichstelle zurück, die Schmerzen ließen nach. Kurz darauf waren die beiden schon wieder beim Packen, als wäre nichts weiter passiert. Nur der Fuß meines Vaters blieb bandagiert.
    Da schon bald keiner mehr da sein würde, der meinen Vater bekochte, er sich selbst dazu außer Stande sah und den Aparai auch nicht als »M itesser« zur Last fallen wollte, legte meine Mutter mit den Frauen des Dorfes eine Notration für ihn an. Selbst Mikulu half fleißig mit, Erdnüsse zu ernten, die wir anschließend rösteten und in luftdichte Vorratsbehälter packten. »M it Erdnüssen und Bananenbrei kann ich mich zur Not eine Ewigkeit über Wasser halten«, versicherte mein Vater tapfer. Dabei zog er ein Gesicht, als bekäme er künftig Seife zu essen. Erst im Nachhinein erfuhren wir, dass er täglich von Antonia zum Essen eingeladen worden war. Er übernahm damit gewissermaßen meinen Platz am Kochkessel der Sippe. Für die Aparai war es eine Selbstverständlichkeit, den Tamuaimo, eine Art Ehrenhäuptling, und »g roßen Vater« zu bewirten. Als er ein Vierteljahr später in Deutschland zu uns stieß, war er äußerst wohlgenährt.
    Bevor mein Vater sich auf den Weg nach Bona machte, übergab er unsere Hütten und Pflanzungen feierlich an die Bewohner von Mashipurimo. Als er sein völlig überladenes Kanu bestieg, gab ihm Araiba noch ein Geschenk für mich mit auf den Weg: eine alte, verbeulte Aluminiumdose, die sein ganzer Stolz gewesen war. In den Dosendeckel hatte er mit einem Taschenmesser fein säuberlich meinen Namen eingraviert: Ka-ta-ri-schi. In der Lautschrift, die mein Vater für die Aufzeichnung der Aparai-Überlieferungen entwickelt hatte. Im Innern der Dose lagen wie Scherben aus weißem Ton ein paar Stücke Wöi. Das getrocknete Maniokfladenbrot sollte mich immer an Mashipurimo

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