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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Lungen brannten, meine Fußsohlen schmerzten, als liefe ich über glühende Kohlen. Meine Mutter schien kaum zu bemerken, wie sehr ich mich anstrengen musste, um ihr zu folgen. Ich wusste, dass wir eine Menge zu erledigen hatten, und versuchte, die Zähne zusammenzubeißen. Eine Aparai beklagt sich nicht. Aber was, wenn ich meine Mutter in dem ganzen Durcheinander aus dröhnenden Autos und vorbeieilenden Menschen aus den Augen verlor? Mama tippte auf ihre Armbanduhr. In Mashipurimo war Eile für uns ein Fremdwort gewesen. Unser Flug nach Deutschland musste gebucht, Papiere mussten besorgt werden, es fehlten noch alle möglichen Stempel, und die Strecken zwischen den Behörden waren weit. Wir bahnten uns einen Weg durch eine provisorisch abgesicherte Baustelle. Durch ein paar Löcher in den Bretterwänden sah ich rostige Stahlträger wie abgestorbenes Geäst in den Himmel ragen, an dem sich dunkle Wolken zusammenzogen. Der Wind wurde heftiger, ich kniff die Augen zusammen, damit ich nicht ständig den hochwirbelnden Staub hineinbekam. Als heftiger Regen einsetzte, spannte ich meinen Kinderschirm auf. Meine Mutter trug einen dunkelblauen Stockschirm, der ungefähr dreimal so lang war wie meiner. Ich hatte Mühe, meinen Schirm bei diesem Wetter festzuhalten. Immer wieder wurde er von Böen hochgerissen, seine Speichen bogen sich bedrohlich und drohten umzuknicken wie dünne Äste. Dieser Schirm, an den ich mich nun mit beiden Händen klammerte, war in Mashipurimo mein ganzer Stolz gewesen. Meine Eltern hatten ihn mir in der Hafenstadt Belém gekauft. Während der Regenzeit hatten wir uns manchmal zu viert unter den hellgrünen Schirm gedrängt – Koi, Tanshi, Mikulu und ich. Außerdem hatte er sich prima dazu geeignet, die herabfallenden Beeren der Waipalme aufzufangen, aus denen später das köstliche Aipu hergestellt wurde – der Palmbeerensaft war sozusagen die Cola des Urwalds. Die meiste Zeit hatte der Schirm allerdings zusammengerollt an einem Haken über meiner Hängematte gehangen.
    Am zweiten Tag unseres Zwischenstopps in São Paulo durfte ich im Hotel bleiben. Nachdem ich nach unserem Gewaltmarsch durch die Stadt beinahe kollabiert wäre, wusste meine Mutter, dass sie mir keinen weiteren Stress zumuten konnte. Die vielen neuen Eindrücke waren so überwältigend für mich, dass mein Kopf hämmerte und ich abends kaum einschlafen konnte. Die ganze Nacht über wälzte ich mich von einer Seite auf die andere, sprach im Schlaf und muss wohl auch gewimmert oder geweint haben, jedenfalls knipste meine Mutter irgendwann die Nachttischlampe an, um nach mir zu sehen. Ich war dankbar, dass die Lampe anbleiben durfte.
    Am Morgen schärfte mir meine Mutter ein, dass ich während ihrer Abwesenheit auf gar keinen Fall das Hotelzimmer verlassen dürfe. Sie deutete auf die Fensterfront, die fast bis zum Boden reichte. Durch die Scheiben sah man das steinerne Panorama dieser unendlichen Stadt. »I rgendwo da unten werde ich unterwegs sein und versuchen, alles zu erledigen, damit wir bald weiterreisen können. Ich bringe dir auch etwas Schönes mit. Du kannst dich in der Zwischenzeit etwas ausruhen.« Zum Abschied winkte sie mir noch einmal aufmunternd zu. Ein letztes »I ch bin gleich wieder zurück«-Lächeln, dann hörte ich, wie das Schloss der Zimmertür mit einem leisen Klickklick zuschnappte und der Schlüssel herumgedreht wurde. Auch das war neu für mich – in Mashipurimo gab es keine Türen zum Abschließen.
    Ich legte meinen Kopf auf das harte Kissen und muss kurz darauf in einen tiefen Schlaf gefallen sein, aus dem ich erst wieder erwachte, als meine Mutter erneut mit dem Schlüssel vor der Zimmertür herumklimperte. Behutsam setzte sie sich neben mich, schob die Tagesdecke zurück und stellte eine weiße Styroporschale auf das Bett. In dem rechteckigen Behälter, der ein quietschendes Geräusch von sich gab, wenn man mit dem Finger darüberstrich, befanden sich knochenweiße Stangen, um die dünne Fleischstreifen gewickelt waren. Das Ganze war mit einer durchsichtigen Haut bedeckt, die sich glatt über die Schale spannte.
    » Klarsichtfolie «, sagte meine Mutter.
    »W as ist das?«, fragte ich mit ungläubigem Staunen. »K ann man das essen?«
    Meine Mutter schüttelte lachend den Kopf und zog die Folie von der Styroporschale.
    »A ber das hier kannst du essen. Das ist Spargel mit gekochtem Schinken, so etwas essen die Menschen in Deutschland. Probier mal.«
    » Spaaargel «, wiederholte ich.
    Meine Mutter

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