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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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etwas abseits, den Kopf gesenkt. Er schaute nicht einmal auf, als Malina mit dem Baby, das in einer Baumwolltrage vor ihrem Bauch schlief, an ihm vorüberschritt. Das fand ich feige, und ich strafte Chico die kommenden Monate ab, indem ich ihm gezielt aus dem Weg ging. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich den Respekt vor einem Erwachsenen verloren. Chico blieb bis zum Tod seines Vaters, was er offiziell war – Tanshis großer Halbbruder.
    Malina und ihr Baby wohnten zu meinem Bedauern nicht mehr lange in unserer Hütte. Irgendwann war auch Pulupulu, die Erstfrau Kulapalewas, zu einem Anstandsbesuch vorbeigekommen. Sie hatte Malina versichert, dass sie es schön fände, wieder ein Baby im Haus zu haben. Malina hatte das Versöhnungsangebot angenommen. Dass die junge Zweitfrau nicht nur Konkurrentin war, sondern auch eine Verbündete und echte Freundin werden konnte, sollte sich für Pulupulu in den kommenden Jahren erweisen.
    Tanshi wurde zum Liebling des ganzen Dorfes. Keiner hätte es gewagt, etwas Schlechtes über den kleinen Sonnenschein mit den großen Kulleraugen zu sagen. Dass der, den sie offiziell Vater nannte, im Grunde ihr Opa war, spielte keine Rolle mehr. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Chico eigentlich nicht ihr großer Bruder war. Tanshi hatte fortan das Privileg, zwei »M ütter« und zwei »V äter« zu haben, die sie gleichermaßen vergötterten. Typisch Aparai. Und eine Patin, die ihr nicht von der Seite wich, bekam Tanshi obendrein. Ich schwor mir, sie zu beschützen und zu verwöhnen, so, wie Sylvia das einst mit mir getan hatte. Meine Verpflichtung nahm ich so ernst, dass ich eine Zeit lang kaum daran dachte, Unsinn anzustellen.

    Später Familienfrieden – Kulapalewa mit seinen beiden Frauen Malina (in der Mitte mit Säugling Tanshi auf dem Arm) und Pulupulu
     
    Ich wischte Tanshi mit weichen Blättern geduldig den Rotz von der Nase, verscheuchte Mücken, die sich auf ihren Augenlidern niederlassen wollten, und zupfte Läuse aus ihrem feinen schwarzen Haar, um sie anschließend – wie bei den Aparai üblich – zwischen meinen Zähnen zu knacken. Danach spuckte ich sie allerdings aus, weshalb die Frauen des Dorfes über mich lachten. Vor allem Pulupulu konnte sich gar nicht mehr beruhigen, dass ich diese Leckerbissen verschmähte. »S ie essen dich, also musst du sie essen, Katarischi«, so einfach war das. Ich schleppte Tanshi so lange in einer baumwollenen Kindertrage mit mir herum, bis sie eines Tages ihre ersten Schritte machte. Ich verhätschelte mein Patenkind und trug es voller Stolz huckepack durchs Dorf. Außer wenn plötzlich ein lauwarmes Rinnsal über meinen Rücken lief. Ich ekelte mich vor dem strengen Uringeruch auf meiner Haut. Noch schlimmer war es allerdings, wenn Tanshi Pischitanko, Durchfall, hatte. Schließlich gab es am Amazonas keine Windeln. Deshalb versuchte ich, ihr beizubringen, sich rechtzeitig bemerkbar zu machen. Das klappte leider nicht immer, selbst meine schönen roten Beinfransen kamen manchmal ins Treffen. Dann schämte ich mich furchtbar, eilte zu unserer Hütte und rief schon von Weitem verzweifelt nach meinem Vater: »P apa, kannst du mir bitte Seife geben? Ich will die Eté abwaschen.« Fragender Blick meines Vaters.
    »M it dem Lehm vom Flussufer geht der mollelé nümölö, der schlimme Gestank, nicht weg.«
    Mein Vater versuchte, ein betroffenes Gesicht zu machen, und spendierte mir ein kleines eingeschweißtes, nach Rosen duftendes Stück Seife aus einem seiner tropenfesten Behälter, in denen er solche Kostbarkeiten aufbewahrte. Doch kaum hatte ich ihm den Rücken gekehrt, um mich auf den Weg zum Fluss zu machen, brach er in schallendes Gelächter aus. In solchen Momenten hätte ich Tanshi am liebsten gegen einen Affen eingetauscht. Der machte garantiert weniger Arbeit …

    Tanshi weicht mir nicht von der Seite – wir haben keine Lust auf Fotos
     

Kranke Mutter mit ihrem Baby vor der Urwaldapotheke
     

Eine Apotheke im Urwald
     
    Wenn wir die ersten Anzeichen einer Erkältung verspüren – Gliederschmerzen, ein Kratzen im Hals und eine verstopfte Nase –, marschieren wir schnurstracks in die nächste Apotheke. In meinem Arzneischrank zu Hause stapeln sich inzwischen Hilfsmittelchen aller Art. Vitamin-C-Pulver, Tabletten zur Stärkung der Abwehr, Nasensprays, Hustensäfte sowie ein ganzes Arsenal an Bronchialsalben und Halsbonbons. Auch für kleinere Unfälle bin ich gerüstet. Ich besitze eine gut sortierte Reiseapotheke, einen

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