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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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war. Außerdem halfen wir ganz ungeniert einem unerwünschten Kind auf die Welt. Anfangs herrschte angespannte Stille in unserem Pfahlbau. Kein lebhaftes Geplapper wie sonst. Mein Vater marschierte mit todernster Miene durch die Gegend. Er war wortkarg und gereizt, nicht fröhlich und geschäftig wie sonst. Meine Eltern dachten laut darüber nach, ob es vielleicht möglich wäre, Malinas Kind durch eine offizielle Adoption zu retten. Und darüber, ob wir es auch nach Deutschland mitnehmen könnten. »H ättest du etwas dagegen, wenn du ein Geschwisterchen bekommst?«, fragte mein Vater mich prüfend. Ich schüttelte den Kopf. Das fände ich toll! Aber von Deutschland wollte ich nichts hören. Mein Zuhause war Mashipurimo.
    Ich saß vor unserer Hütte und ritzte gelangweilt mit einem Stöckchen Bilder in den Sand, die ich, sobald sie halbwegs fertig waren, mit einer Feder wieder verwischte. Auf einmal hörte ich ein Geräusch hinter der Hütte. Meine Eltern waren mit Malina zu einer weiter entfernt gelegenen Stelle des Flusses gegangen. Zur Badestelle, die wir normalerweise nur zur Regenzeit aufsuchten. Dort würden sie keine Dorfbewohner treffen. Mein Vater hatte sein größtes Buschmesser mitgenommen, um einen Pfad durch das dichte Unterholz zu schlagen. Vermutlich auch, um die werdende Mutter im Notfall damit verteidigen zu können. Ich sollte unterdessen zu Hause bleiben und »W ache« halten. Keiner sollte auf die Idee kommen, unsere Hütte niederzubrennen oder sonst etwas anzustellen. Zur Abschreckung hatte mein Vater das inzwischen geladene Jagdgewehr gut sichtbar an unsere Eingangsleiter gelehnt.
    Wieder hörte ich ein Rascheln. Ich nahm ein Holzscheit vom Brennholzstapel und schlich vorsichtig um die Hütte herum zu der Stelle, von der das Geräusch gekommen war. Bereit, sofort zuzuschlagen, falls es sich um ein gefährliches Tier handelte. Vermutlich wieder so ein garstiger Waran auf der Suche nach Hühnereiern. Wenn ich Glück hatte, würde ich die Echse mit meinem Knüppel erwischen. Aber gerade, als ich zum Schlag ausholte, schnellte ein wild rudernder Arm aus dem Gebüsch. »H aaalt!« Es war Koi, die langsam zwischen dem Geäst hervorgekrabbelt kam. Ich war so froh, endlich wieder ein Kind zu sehen. All unsere Zankereien waren vergessen.
    »W as machst du denn hier? Mich heimlich beobachten?«
    »H ab’s ohne dich nicht mehr ausgehalten. Ist so langweilig bei uns«, murmelte Koi verlegen. »H ab nicht mal jemanden zum Streiten«, behauptete sie, damit ich mir auch ja nichts einbildete.
    Wir kicherten und kickten abwechselnd kleine Kieselsteine über den sandigen Boden. Koi überreichte mir eine wunderschöne, rot schimmernde Blüte. Als ich daran roch, verzog ich das Gesicht. Eine Stinkblume. So eine hatte ich schon mal bei einem Ausflug mit meinem Vater tief im Urwald gesehen. Man musste weit laufen, um diese seltenen Blüten zu finden.
    »U nd dein Vater?«, fragte ich besorgt.
    »D er würde platzen wie ein Frosch, wenn er wüsste, dass ich hier bin. Peng!« Wir mussten lachen, und auf einmal fühlte ich mich so frei und leicht wie schon lange nicht mehr. Endlich war es wieder so, wie es sein sollte.
    Schon am nächsten Tag kam Koi wieder, am übernächsten auch. Ihre Besuche wurden von Mal zu Mal ein wenig länger, und mit jedem Mal vergaßen wir die angespannte Lage ein bisschen mehr. Irgendwann traute sich Koi sogar, unsere Hütte zu betreten und ihre Mutter zu besuchen. Obwohl Kulapalewa ihr das strengstens verboten hatte.
    Mit der Zeit tauchten vereinzelt auch erwachsene Besucher bei uns auf. Zunächst nur heimlich und in der Dämmerung, weil sie nicht wollten, dass die anderen etwas bemerkten. Die einen hatten irgendeine Ausrede, brauchten ganz dringend einen Angelhaken oder ein Pflaster, andere trieb die Neugier zu uns. Einmal kam sogar eine entfernte Verwandte von Malina vorbei, die in einem Nachbardorf am Rio Jari lebte. Sie brachte frisches Obst als Krankengabe. Betörend duftende Ananas, reife Riesenmangos, winzige eckige Bananen, saure Physalisbeeren und einige Stücke fasriges Zuckerrohr zum Auskauen. Sie war gerührt, als Malina zum Dank für die freundliche Geste ihre Hand nahm, um sie auf ihren Bauch zu legen. Das Baby strampelte kräftig. Die entfernte Cousine versprach, ein gutes Wort bei Kulapalewa einzulegen.
    Schließlich kamen jeden Tag mehr Besucher – erst nur zu uns, später auch direkt zu Malina. Sie brachten uns geröstete Cashewkerne, Paranüsse und Erdnüsse vorbei,

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