Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Hütte wurde ich noch mit unzähligen Medikamenten versorgt. Mit allem, was man damals so gegen Malaria einsetzte. Natürlich bekam ich auch die volle Dosis an Zuwendung und Aufmerksamkeit. Jeden Tag kam Großmutter Antonia vorbei, um zu sehen, wie es mir ging. Sie streichelte mein Gesicht und brachte mir ein wenig von allem mit, was sie gekocht hatte. Anfangs hatte ich noch keinen Appetit, aber nach ein paar Tagen kam der Appetit auf Herzhaftes wieder zurück. Die scharfe, pfeffrige Wildbrühe, die sie zubereiten konnte, wie keine andere im Dorf, machte selbst Totgesagte wieder munter.
Während der unfreiwilligen Hängemattenruhe, die mir in der Zwischenzeit verordnet wurde, kam Koi jeden Tag vorbei. Manchmal saß sie zu meinen Füßen und schaute mich einfach nur an. Einmal hielt sie meine Hand, als ich aufwachte. Ich bekam nie so genau mit, wer wann kam oder ging. Vor allem Koi war lautlos wie eine Katze. Sie schien zu spüren, wann ich Gesellschaft brauchte und wann ich lieber meine Ruhe haben wollte. Sobald meine Eltern aus dem Haus waren, tauchte sie wie ein kleiner Urwaldgeist an meiner Seite auf, reichte mir eine Schale mit Wasser und war schon wieder fort, bevor ich mich bedanken konnte. Auch meine große Schwester Sylvia kam regelmäßig vorbei, um mich zu umsorgen. Sie drückte mir einen scharfkantigen Stein in die Hand, und als ich meine Faust wieder öffnete, sah ich, dass es sich um einen Jaguarzahn handelte. Ein Amulett, das mir die Kraft des Königs der Tiere verleihen sollte, seine Unverwundbarkeit und seinen Mut. Vor allem war es ein Schutz-Amulett, das böse Mächte abhalten sollte. Denn im Glauben der Aparai sind böse Geister die Auslöser für Krankheiten.
In allerbester Absicht bekam ich Heilkräuter und wohlriechende Blätter unter meinen Rücken gestopft. Medizin, die mich wieder munter machen sollte. Baumrinde, die ein bisschen nach Zimt roch, rote, gelbe und lilafarbene, nach Vanille duftende Samenkapseln gegen Übelkeit, obwohl mir doch gar nicht übel war. Und ein bitteres Kraut, das auf der Zunge brannte, wenn man darauf herumkaute. »D as nimmt die Hitze aus deinem Körper weg«, klärte mich die alte Peputo später auf.
Meine Hängematte füllte sich mit allerhand welken Blättern, und der Boden darunter war schon bald mit Blütenstaub und Samenkörnern bedeckt. Kombiniert mit den Medikamenten meiner Eltern wirkte der Heilzauber, Mashipurimo hatte mich wieder. Während die Malaria bei den Aparai in weniger starker Form auftritt, jedenfalls nicht viel schlimmer als bei uns eine gewöhnliche Grippe, hätte sie für ein kleines europäisches Mädchen wie mich durchaus anders ausgehen können. Meine Eltern wussten von dieser Gefahr, und waren nicht umsonst um mein Leben gelaufen. Mein Vater war vor lauter Aufregung versehentlich sogar mit seinen Turnschuhen ins Wasser gegangen. Die Schuhe »M ade in Germany« lösten sich nach einigen Tagen in ihre Einzelteile auf. Was zurückblieb, war ein jämmerliches Häuflein aus Stoff, losen Sohlen und rostigen Ösen. Die Turnschuhe der siebziger Jahre mochten vielleicht tropentauglich sein – wasserfest waren sie nicht.
Hausputz am Amazonas
Im Hochsommer, wenn die Zikaden am lautesten zirpten, war in Mashipurimo die Zeit des Hausputzes gekommen. Die Hängematten wurden von ihren Pfosten gebunden, zusammengerollt und von den Kindern zum Flussufer geschleppt. Koi ging mit energischen Schritten voran, ich hielt den Bauch der Hängemattenschlange, und Mikulu trug das Hinterteil. Er hatte ein wenig Mühe, mit unserem Tempo mitzuhalten. Aber er war gutmütig genug, uns nicht im Stich zu lassen. Mehr als drei Hängematten auf einmal schafften wir auf diese Weise jedoch auch nicht. Zudem mussten wir aufpassen, dass sie sich beim Transport nicht verhedderten. Und so liefen wir mehrmals hin und zurück, bis alle schmutzigen Hängematten am Flussufer lagen.
Schon von Weitem hörte man Gelächter und Stimmengewirr, das vom Fluss Richtung Dorf herüberklang. Auf den Felsbänken der Bucht saßen die Frauen und schrubbten ihre Wäsche. Mit den Hängematten war es etwas komplizierter – sie wurden zunächst vorgewaschen, anschließend zusammengerollt und dann gegen die Felsen geschlagen. Sozusagen der Schleudergang im indianischen Waschprogramm.
So ein Waschtag lohnte sich erst richtig, wenn genug zusammenkam. Neben den Hängematten stapelten sich die Lendenschurze der Frauen, die feuerroten Durchziehlätze der Männer und sämtliche Baumwollgürtel
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