Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
der großen und kleinen Dorfbewohner. Der zweitgrößte Haufen bestand aus den Trageschlingen für Kleinkinder. Jede Familie besaß mehrere davon; wer etwas auf sich hielt, trug nur lupenrein weiße Trageschlingen über der Brust, die zu Festtagen mit roter Ononto -Pflanzenfarbe eingefärbt wurden.
Das Beste am Großreinemachen war, dass wir zwischen der ganzen Wäsche umherplanschen konnten. Es gab nichts Schöneres, als unter den eingeweichten Stoffbahnen durchzutauchen und mit einem lauten Prusten unvermittelt wieder nach oben zu schnellen. Als Koi und ich gemeinsam mit einem lauten »B uuhh!« auftauchten, taten die Frauen erschrocken: »U uiih, das sind ja Kanna-Akottos! Bringt euch vor den Wasserungeheuern in Sicherheit.« Wir bekamen einen fürchterlichen Lachanfall. Das Kanna-Akotto war unser Lieblingsungeheuer. Seine Abbildungen fanden sich an zahlreichen Stellen in unserem Dorf wieder, einige Aparai hatten sogar ihre Paddel mit dem Bildnis dieses Wasserungeheuers verziert. Am meisten beeindruckte mich die Abbildung auf dem kreisförmigen Deckenschild in unserem Rundhaus. Wenn wir allein waren, setzten wir uns im Schneidersitz in die Mitte des Raums, wo wir uns mit dem Rücken an die Stützpfosten lehnten, damit wir die Fabeltiere auf dem Maruana, dem Deckenschild, in Ruhe betrachten konnten. Wenn man die gemalten Figuren nur lange genug ansah, meinte man, sie würden lebendig.
Die Magie, die von diesem Deckengemälde ausging, lässt sich nur schwer in Worte fassen. Das Kanna-Akotto hatte einen fischähnlichen Leib und am Bauch einen Fangarm mit scharfen Krallen. Es hieß, dass das Ungeheuer im tiefen Wasser der Flüsse lebe und dass es mühelos sogar die größeren Stromschnellen überwinden könne. Auch dass das Kanna-Akotto in alter Zeit Menschen gefressen habe, erzählte man sich. Sein Bildnis sollte das Dorf vor Unheil schützen und war gleichzeitig eine Erinnerung an die Vergangenheit.
Magischer Deckenschild – Maruana im Rundhaus von Mashipurimo
Die frisch geschrubbten Wäschestücke wurden auf den sonnengewärmten Felsplatten ausgebreitet. Mit der Zeit waren sämtliche Kugelfelsen am Ufer mit Stoffen bedeckt. Dort trockneten sie in kürzester Zeit in der gleißenden Nachmittagssonne. Das cremefarbene Baumwollgewebe umhüllte die dunklen Granitrücken, als hätten die Geister des Urwalds riesengroße Daunenkissen achtlos neben das Flussbett geworfen. Christo hätte seine Freude an diesem Anblick gehabt.
Während die Frauen am Fluss arbeiteten, waren die Männer im Dorf mit dem Hausputz beschäftigt. Das ist bei den Aparai tatsächlich Männersache. Sämtliche Körbe und Vorratsbehälter wurden von den Dachbalken abgehängt, damit das Palmblattgewölbe von Schmutz und sämtlichem Getier, das unter dem Gebälk hauste, befreit werden konnte. Jeder Zentimeter musste sorgsam mit einer Holzstange abgeklopft werden. Als ich Großvater Araiba dabei zuschaute, musste ich rasch in Deckung gehen, damit nicht die ganze Insektensammlung auf mich herabrieselte. Kleine Staubpartikel, Käfer, Spinnen, Skorpione und sogar winzige Schlangen, die zusahen, dass sie sich schnellstmöglich fortschlängelten, bevor sie von einem Palmblattbesen aus der Hütte gefegt wurden. »F ort, fort, ihr Tierchen, raus aus unserer Hütte«, rief Araiba und ließ nicht locker, bis der ganze Boden besenrein und das Deckengewölbe der Schlafhütte endlich tierfrei war. Natürlich dauerte es nicht lange, bis die ersten Spinnen wieder nachkrabbelten. So leicht ließen sie sich nicht vertreiben. Ganz zu schweigen von den Fledermäusen, von denen gleich mehrere Generationen unter dem Blätterdach wohnten.
Nach dem ersten Staubregen verkrümelte ich mich vor die Hütte, in sicherer Entfernung von weiteren Überraschungen. Vor allem vor den kleineren Skorpionen hatte ich einen Heidenrespekt. Als ich mir mit dem Arm über das Gesicht fuhr, bemerkte ich, dass sogar meine Wimpern mit Staub bedeckt waren. Auch Araibas dunkler Schopf war von feinem Staub und kleinen Palmblattpartikeln übersät. Sein dichtes Haar sah aus wie mit Kreide gepudert. So ein Hausputz war wirklich keine schöne Angelegenheit. Noch Stunden später hatte ich das Gefühl, auf Sand herumzukauen. Das Wäschewaschen am Fluss hatte mir da schon besser gefallen.
Im Dorf entdeckte ich nun auch Kulapalewa, gefolgt von seinem Sohn Chico. Beide winkten freundlich zu Araiba und mir herüber. Mehrmals gingen sie in ihre Hütte hinein, um nach kurzer Zeit mit einem Stapel
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