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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Zauberer im Land der Aparai. Sie hatten die Gabe, schlimme Krankheiten zu heilen, und vermochten in ihren Träumen zu reisen und böse wie gute Geister zu erschaffen. Manchmal waren die Geister im Dienste ihrer Herren auch als Boten und Kundschafter unterwegs. Ich stellte mir bildlich vor, wie sie durch die Lüfte flogen und die Menschen bei ihren Gesprächen belauschten oder ihnen im Schlaf etwas zuflüsterten. Die Zauberer konnten nämlich auch die Träume der Menschen beeinflussen. Sie bewegten sich in verschiedenen Welten, im Diesseits wie im Jenseits.
    Am abendlichen Lagerfeuer hatte ich schon davon gehört, dass es in der alten Zeit einen Zauberer gegeben hatte, der so mächtig gewesen war, dass sich sogar die gefährlichen Jaguargeister in seinen Dienst stellten. Der Einfluss eines Zauberers auf seine Stammesgenossen war folglich groß, manche fürchteten ihn, alle respektierten ihn. Niemand mochte es sich mit so einem mächtigen Mann verderben. Manche Zauberer waren Seher, andere weise Ratgeber, Zeremonienmeister und natürlich Heiler. Da für die alten Aparai böse Geister die Hauptursache für Krankheiten waren, wurden diejenigen Zauberer besonders geachtet, die den besten Draht zu den Geistern hatten. Mit ihren Formeln konnten sie solche Wesen beruhigen und milde stimmen. Dazu benötigten sie besagte Rasseln. Und dann erzählte mir Araiba etwas, was mich zum Staunen brachte. Am Anfang der Aparai-Welt hatte es ursprünglich nur Zauberinnen gegeben. Erst viel später waren auch Männer mit außergewöhnlichen Fähigkeiten zu Magiern bestimmt worden. Davon hatte ich noch nie etwas gehört, in den Erzählungen war immer nur von männlichen Zauberern die Rede gewesen. Ob diese Zauberinnen der alten Welt auch zwei Männer haben durften? Araiba bejahte. In einem Nachbardorf hatte ich einmal eine Frau kennengelernt, die zwei Brüder geheiratet hatte. Aber eine Zauberin war sie meines Wissens nicht. Araiba lächelte und meinte, die Zeiten hätten sich nun einmal geändert.
    Da schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: War meine Mutter vielleicht auch eine Art Heilerin? So beseelt, wie manche Kranke aus ihrer Apotheke kamen, mochte das gut sein. Dass sie zaubern konnte, hatte ich allerdings noch nicht bemerkt. In Gedanken ging ich ihre Ausrüstung durch: Pillen, Tabletten, Wundsalben, Spritzen und natürlich Verbandszeug. Aber keine Rasseln oder andere rituelle Dinge. Und Rauchen tat sie auch nicht. Ein guter Zauberer musste aber immer eine lange Tabakpfeife bei sich tragen, das bestätigte mir Araiba mit einem Nicken, das keinen anderen Schluss zuließ, als den, dass Mama wohl doch keine Zauberin war.
    Im Laufe der nächsten Monate kam die Rede häufiger auf die berühmte Zauberin Alliwakka, die vor noch gar nicht allzu langer Zeit am Fluss Jari gelebt hatte. Von ihr hatte bereits die alte Peputo am Abendfeuer erzählt. Alliwakka genoss zu Lebzeiten hohes Ansehen, denn sie konnte Schmerzen durch das Auspusten von Tabakqualm lindern. Sie war eine Meisterin im Umgang mit Zauberrasseln und eine durch und durch weise Frau. Auch mein Vater kannte ihren Namen und erzählte mir, dass Alliwakka den schönsten Federschmuck im ganzen Land besessen hatte und einen Fransenmantel, mit dem sie später sogar beerdigt wurde. Als Alliwakka verstarb, legten ihre Anhänger ihr noch einen Pfeil in die Hand, damit sie auch im Jenseits jagen konnte.
    Wann immer in den kommenden Wochen in Mashipurimo über Zauberer gesprochen wurde, wurde ich hellhörig. Als Araiba jedoch erwähnte, dass ein Zauberer regelmäßig Ameisenmartern über sich ergehen lassen musste, um seinen Mut zu beweisen und sich abzuhärten, verlor der Gedanke, selber einmal Zauberin zu werden, vorerst seinen Reiz für mich. Es hatte mir gereicht, Inainas Qualen mitzuerleben. Mit Schaudern dachte ich an seine Initiationsmarter zurück. Zauberer zu sein, hatte ich mir irgendwie schmerzfreier vorgestellt.
    Fasziniert war ich aber von den Schilderungen über die übersinnlichen Fähigkeiten, mit denen ein Zauberer gesegnet war. Am Abendfeuer wurde erzählt, dass die Wanderer zwischen den Welten sogar mit den Geistern der Verstorbenen sprechen konnten. Das stellten wir uns spannend vor. Koi krähte in die Runde, dass sie mithilfe eines Zauberers mit ihrer verstorbenen Großmutter Oloitö sprechen wolle, der großen Geschichtenerzählerin, die in einem Dorf am Fluss Maicurú gelebt hatte und deren Namen beinahe jedes Aparai-Kind kannte. Ich überlegte, mit wem ich durch die

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