Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Gestalt names Jackä, »h ätten die Kleine in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht.« Jackä hatte ganz hinten im Boot gesessen und sich als Letzter über uns alle geworfen. Er musste noch zwei Tage auf der Krankenstation bleiben.
»T ut es sehr weh?«, fragte ich Mama voller Anteilnahme.
»N ümolö«, stöhnte sie, »z iemlich.«
Die junge Krankenschwester brachte uns ein Glas Limonade. Pisuku, wenn ich mich recht erinnere, ein Brausepulver, das in den siebziger Jahren in Brasilien in Mode war. Eine Art Ahoi-Brause, die man aus einem Papiertütchen in ein Glas Wasser schüttete, das sich daraufhin gelb, orange, grün oder rot färbte. Während die Krankenschwester mit einem Löffel das Brausepulver verquirlte, kam plötzlich mein Vater herein. Erschrocken schaute er von einem zum anderen.
»W as ist denn mit euch passiert?«
Der Doktor begrüßte meinen Vater mit einem Klaps auf die Schulter und erzählte ihm die Geschichte vom Hornissenüberfall. Mein Vater war sprachlos. Von einer solch heftigen Attacke hatte auch er noch nie gehört.
Am Abend wurden wir von den Frauen von Bona am Lagerfeuer großzügig bewirtet. Sie wurden nicht müde, danach zu fragen, wie viele Hornissen uns überfallen hatten. Und wie groß die Viecher gewesen waren. Aus »s o lang wie mein kleiner Finger« wurde im Laufe des Abends ein halber Meter. »R iesige Hornissen waren das«, sagte Inaina und zwinkerte mir zu.
Der Arzt trank einen kräftigen Schluck aus einer Tasse mit einem silbernen Sieblöffel darin. Er reichte sie meinen Eltern, die dankend ablehnten. Der Matetee war ihnen zu bitter. Beim frischen Maniokbier passte wiederum der Doktor. Die Menschen aus der Stadt mochten keine mit Spucke vergorenen Getränke.
Am nächsten Morgen setzten sich meine Eltern mit dem Doktor zusammen, um das Nötigste zu besprechen. Der Arzt sah müde aus. Auf seiner Runde hatte er schon mehrere Dörfer besucht; Bona war sein letzter Zwischenstopp, am folgenden Tag wollte er zurück nach Belém fliegen.
Unsere Helden lagen derweil von neugierigen Kindern umringt in den Hängematten des Rundhauses. Es ging ihnen bereits deutlich besser, selbst Jackä meinte, in ein paar Tagen sei die Sache sicher wieder vergessen. Was seien schon ein paar Hornissenstiche gegen die Schlangen- und Krokodilbisse, die er im Laufe seines Lebens weggesteckt habe? Einige Narben oberhalb der Handgelenke zeugten davon. Nur Inaina, eigentlich abgehärtet durch seine Initiationsmarter, gab zu, dass die Hornissenstiche noch um einiges schlimmer waren als alles, was er jemals zuvor erlebt hatte. Doch was einen nicht umbrachte, machte einen – nach Ansicht der Aparai – nur härter. Die Liste für den Arzt aus der Stadt wurde jedenfalls um ein wichtiges Präparat erweitert: eine wirksame Salbe gegen Insektenstiche.
Das Rundhaus von Aldeia Bona
Am Tag des Fischfests
Piranhas zum Frühstück
Mashipurimo bereitete sich auf ein Festmahl vor, Jakono hatte seine Nachbarn und Freunde zum »M ittrinken« eingeladen. Durch gemeinsame Gelage frischten die Aparai alte Freundschaften auf und pflegten Bekanntschaften sowie die Beziehungen zu ihren Verwandten, die oftmals weit entfernt wohnten. Das Gebiet der Aparai-Wajana erstreckte sich schließlich über mehrere Landesgrenzen. Viele der Angereisten mussten tagelange und beschwerliche Reisen in Kauf nehmen, um einem solchen Gelage beizuwohnen. Doch die Essens- oder Festeinladungen waren das Salz in der Suppe des Alltags. Alle freuten sich darauf, und niemand wäre auf die Idee gekommen, sich über die damit verbundenen Strapazen zu beklagen, im Gegenteil. Selbstverständlich waren solche Einladungen auch mit Erwartungen verbunden – Gradmesser der Gastfreundschaft waren Menge und Zubereitungsart der Speisen.
Diesmal ging es aber nicht um eine gewöhnliche Runde, bei der ein paar Spontangäste mehr oder weniger nichts ausmachen. Diesmal hatte Jakono einladen lassen, und das hochoffiziell. Schon Wochen zuvor waren einige Männer als Boten in die anderen Dörfer ausgeschwärmt. In Mashipurimo waren derweil alle mit den Vorbereitungen für das Festmahl beschäftigt. Tagelang flitzten die Frauen wie Ameisen umher. Beladen mit Unmengen an Bittermaniok-Knollen, mit denen sich ein ganzes Dorf für Monate versorgen ließ. In ungekochtem Zustand war Bittermaniok hochgiftig. Es gab auch ungiftigen Maniok, den mochte allerdings niemand. Also plagte man sich lieber mit der komplizierten Prozedur des Entgiftens ab.
Koi und ich
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