Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
verkrümelten uns in Richtung Fluss, um dem Gewusel im Dorf zu entfliehen. Dort war es schön still, und wir standen niemandem im Weg. Also stromerten wir flussabwärts, dort gab es eine stille Bucht, in der wir uns auf die Lauer legen wollten, um Tiere zu beobachten.
Auf einmal wurde Koi ganz zappelig. Sie deutete auf eine Stelle im Schilf. Tatsächlich, da schwammen lauter kleine gallertartige Blasen auf der Wasseroberfläche. Vorsichtig knieten wir uns ans Ufer, um das Gebilde genauer unter die Lupe zu nehmen. Wie sich das wohl anfühlte? Koi war der Ansicht, dass die merkwürdige Blase unter Umständen gefährlich sein könnte, und meinte, wir sollten besser Großvater Araiba holen. Gesagt, getan. Araiba lachte, als er die geheimnisvollen Blasen sah. Es war nichts anderes als ganz gewöhnlicher Froschlaich. Im Laufe der Zeit würden die schwarzen Pünktchen in den Blasen immer größer, bis ihnen eine Art Schwanzflosse wachse, erklärte Araiba. Aber da waren wir längst nicht mehr bei der Sache. Kaulquappen kannten wir schließlich, wir hatten sie schon oft gegessen. Eine große Delikatesse, in gekochtem wie in rohem Zustand. Ich erinnere mich noch an den Gesichtsausdruck meiner Eltern, als ich ihnen einmal erzählt hatte, wie gut mir die Kaulquappen schmeckten. Ich kann verstehen, dass diese Vorstellung für Europäer etwas Befremdliches hat, aber damals machte mein Magen glücklicherweise alles mit. Und Aparai-Kinder sind nicht gerade zimperlich, wenn es darum geht, etwas Neues zu probieren. Koi und ich wurden zu wahren Kaulquappengourmets. Wir tranken sie als Suppe, wir begeisterten uns für eine Art Kaulquappenpudding, und wir schluckten sie sogar roh. Sie schmeckten ein bisschen bitter, aber übel wurde mir davon nicht.
Araiba ließ seinen Blick prüfend über das Wasser gleiten. Tatsächlich entdeckte er in Ufernähe weitere Blasen mit Froschlaich, auch einige Kaulquappen wuselten bereits dazwischen herum. Mit einer Kalebasse würde er sie später abschöpfen, als leckere Ergänzung zum Festmahl.
Als wir wieder zurück ins Dorf kamen, war der Berg aus Maniokknollen weiter angewachsen. Wir fragten uns, wer das bloß alles essen sollte.
»N a, ihr, wollt ihr uns nicht beim Schälen helfen?«
Nein, wollten wir nicht. Als wir versuchten, uns mit einer Ausrede davonzustehlen, lachten die Frauen uns aus. Es waren sowieso nicht genug Messer vorhanden. Und das war auch gut so, denn vom Maniok Schälen bekam man ohne Übung fürchterliche Blasen an den Fingern. Gute Schälmesser waren in Mashipurimo Mangelware. Die Aparai versuchten sich damit zu behelfen, dass sie Messer aus dem Metall ausgedienter Kochkessel herstellten. Aber die hatten mitunter scharfe Kanten und drückten nur noch mehr in der Hand.
Um den Maniokhaufen hockte rund ein Dutzend Indianerinnen, mit ausgestreckten Beinen, die Füße übereinandergeschlagen. Es war ein mühsames Unterfangen, bis unter der erdverkrusteten Schale das schneeweiße Fruchtfleisch der Knollen zum Vorschein kam. Wenn eine gewisse Menge zusammengekommen war, stellten sich die Frauen nebeneinander an den »M anioktisch«, ein rund zwei Meter langes Holzbrett, beinah so breit wie ein Türblatt, nur dass es u-förmig nach oben gebogen war. Auf diesem Tisch wurden die Maniokknollen mithilfe kleinerer Reibebretter zu Brei verrieben. Zwei der Aparai-Frauen hatten noch traditionelle Maniokreiben aus Holz, eine andere benutzte eine Aluminiumplatte, in die sie mit Nägeln kleine Löcher hineingeschlagen hatte. Das Ganze sah aus wie eine übergroße Käsereibe. Auf einem solchen Brett ließ sich der harte Maniok besonders gut abreiben. Diese »m odernen Reiben« wurden aus alten Aluminiumkanistern hergestellt, in denen zuvor importiertes Speiseöl aufbewahrt worden war. Jeder Gegenstand aus der Zivilisation war kostbar. Und ging er einmal kaputt oder erfüllte seinen ursprünglichen Zweck nicht mehr, wurde sogleich eine neue Verwendung für ihn gefunden. Besonders modische Aparai-Frauen trugen in den 1970 er Jahren sogar silberfarbene Armreifen aus alten Aluminiumtöpfen, in die sie traditionelle Muster eingraviert hatten.
Beim Maniokschälen, im Hintergrund die Maniokpresse
Die Presslinge werden nach dem Trocknen zu Mehl gesiebt
Während Knolle für Knolle zu Brei verrieben wurde, lachten und schwatzten die Frauen, als handelte es sich nicht um eine anstrengende Tätigkeit, die gehörig in die Arme ging, sondern um das reinste Vergnügen. Langsam lief die giftige
Weitere Kostenlose Bücher