Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
verströmten.
Am Nachmittag ging es weiter. Die getrockneten Maniokrollen wurden zu Mehl gesiebt, aus dem später das köstliche Fladenbrot gebacken wurde. Koi und ich rüttelten gemeinsam am quadratischen Korbsieb, durch das nun das feine Mehl wie Trockenschnee hinabrieselte. Hin und wieder halfen wir mit einem Schaber nach, damit sich das Mehl nicht zu einem Klumpen auf der Oberfläche verdichtete. Schon nach kurzer Zeit waren unsere Haare mit feinem Mehlstaub bedeckt.
Unterdessen wurde nebenan Kashiri Kononto aufgesetzt. Zwei Frauen rührten den frischen Maniokmatsch mit ihren Kochpaddeln zu Brei, während die Flammen des Feuers an den Seitenwänden des stattlichen Tontopfs hochschlugen. Zwischendurch spuckten sie in die Brühe, damit der Brei später zu Alkohol vergor.
Kaviar des Dschungels
»W er hat Lust, mit zu den Palmen zu gehen?« Sofort ließen Koi und ich alles liegen und stehen, um zu Großvater Araiba zu stürmen. Doch Mikulu war schneller als wir. »I iiich komme auch mit!« Die kleine Maläto aus dem Nachbardorf war ebenfalls mit von der Partie. Ihre Eltern waren als Erste angereist, um bei den Vorbereitungen für das Festessen zu helfen.
Dass Araiba uns mit zu den Palmen nahm, konnte zweierlei bedeuten: Entweder ging es darum, frische Palmbeeren zu ernten, aus denen Aipu gemacht wurde. Der Palmbeerensaft gehörte mit zu den köstlichsten Getränken am Amazonas. Oder wir durften Engerlinge aus dem morschen Palmholz herauspulen. Auch die konnte man beim Festmahl gut gebrauchen. Solche Delikatessen servierte man ausschließlich zu besonderen Anlässen. Rückblickend betrachtet, waren sie der Kaviar des Dschungels.
Araiba führte uns zu den Palmen, die etwas abseits des Dorfes hinter einer Rodung wuchsen. Im Gänsemarsch stiefelten wir hinter ihm her, dabei mussten wir uns bemühen, mit ihm Schritt zu halten. Trotz seines Alters war Araiba flink wie ein Wiesel und bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit durch das Dickicht, als folge er einem inneren Kompass. Er kannte die Stellen, an denen sich Heilkräuter gegen alle möglichen Krankheiten finden ließen, und er wusste, welche Tiere an welchen Stellen des Urwalds lebten.
Unser Weg führte uns über einen schmalen Trampelpfad zwischen orangerot leuchtenden Cashewbäumen hindurch, bis wir schließlich an einer Stelle ankamen, die wir noch nicht kannten. Umgeben von hohen Bäumen, die Schatten spendeten, lag vor uns eine Insel aus Palmen. Große Palmen, junge Palmen und umgeschlagene Stämme, die auf dem Boden lagen und vermoderten.
Wir hockten uns auf einen umgefallenen Baum, während Araiba in verwitterten Palmholzstücken nach Engerlingen suchte. Sie ernährten sich ausschließlich von morschem Kokosholz. Mikulu und ich schubsten uns gegenseitig von unserem Sitzplatz herunter, was jedes Mal mit einer Lachsalve endete, wenn einer von uns im Dreck landete. So verging die Zeit, bis Araiba endlich mit einigen Holzstücken zurückkam. Mit dem kräftigen Schlag eines kleinen Haumessers spaltete er das morsche Holz. Jetzt durften wir pulen.
Das poröse Holz war durchlöchert wie ein Schweizer Käse, und wenn man mit den Fingern nur tief genug im weichen Holz herumstocherte, erwischte man ganz mühelos einen kleinen dicken Engerling. Vom Aussehen her ähnelten sie in etwa Shrimps. Die kokosfarbenen rundlichen Maden versuchten mit ihrer ganzen Kraft, sich unserem Griff zu entwinden. Sie beim Herauspulen nicht zu zerdrücken oder zu verletzen, war eine Kunst. Die Kokosengerlinge landeten in einem Tontopf, wo sie zu Hunderten übereinanderlagen und um ihr Leben zappelten.
Uns lief beim Anblick der fetten Larven bereits das Wasser im Mund zusammen. »P robier doch mal, ob die gut sind«, forderte mich Koi auf. Fragend schaute ich Araiba an. Araiba spähte in den Topf. Er war inzwischen randvoll mit weißen Kokos-Maden. »K ostet ruhig alle mal, wir haben ja genug davon.« Normalerweise aßen wir Engerlinge in gebratenem Zustand. Im eigenen Fett geröstet, schmeckten sie ganz köstlich nach dem Kokos der Palmen. Das zappelnde Ding in meiner Hand war aber noch recht lebendig. Beim Reinbeißen musste man aufpassen – so eine Made konnte einen ordentlich in die Zunge zwicken. Gespannt beobachtete Mikulu, was ich als Nächstes tun würde. Auch er schien noch etwas unentschlossen, wie sich die Made am besten vertilgen ließ. In einem Happen? Einfach runterschlucken? Den Kopf zuerst abbeißen, so wie Koi das gerade machte?
Vorsichtig drückte ich
Weitere Kostenlose Bücher