Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Über weitere Einzelheiten wollte sie allerdings noch nicht sprechen. Es bringe kein Glück, wenn man vor so einem Fest zu viel mitbekomme.
Beruhigt machte ich mich auf den Weg ins Unterdorf. Mal sehen, was Malina und die anderen Frauen so machten. Auch im Unterdorf, in der Nähe des Ufers, war alles in Aufruhr. Überall fegten die Frauen ihre Hütten aus, der helle Lehmboden unseres Dorfplatzes war so blank, dass er beinahe glänzte. Das Polootoppo war blickdicht mit Palmmatten verhängt und nicht offen wie sonst. Ich meinte den Rücken von Tumaläpo zu erkennen, neben ihm Kois Vater Kulapalewa, dessen Neffe.
Koi stand etwas verloren in der Gegend herum und blickte düster in Richtung Rundhaus. Offensichtlich hatte ihr Kulapalewa zu verstehen gegeben, dass unser Polootoppo in diesen Tagen für neugierige kleine Mädchen tabu war. Alle jungen Männer, darunter auch Kois Halbbruder Chico, waren zur Jagd ausgezogen, und der Rest hatte sich im Rundhaus versammelt, um im Schutz der Palmmatten etwas zu machen, was vor unseren Blicken verborgen blieb.
Alltagsbeschäftigung – Frauen bei der Baumwollverarbeitung
Selbst die Frauen, die sich sonst so liebevoll um uns kümmerten, uns Süßigkeiten aus Zuckerrohrsaft und Maniokstärke zusteckten und Scherze zuriefen, wirkten beschäftigt und wortkarg. Sie drehten uns den Rücken zu, was auf Aparai so viel heißt wie: Ich will nicht gestört werden. Unaufhörlich sponnen sie Baumwollbüschel zu gleichmäßigen Fäden. Die frisch gepflückten Wattebällchen lagen derweil ausgebreitet in großen, quadratischen Siebschalen in der prallen Sonne zum Trocknen. Flauschige Baumwollbälle, wie aus Zuckerwatte geformt. Die Frauen aus Mashipurimo saßen wie üblich im Kreis, doch anstelle des gewohnten Geschnatters herrschte konzentrierte Stille. Die Spindeln aus Kürbisschalen drehten sich so schnell zwischen den Handflächen der Frauen, dass mir vom bloßen Zuschauen beinahe schwindelig wurde. Kaum war die Spule voll, wurde sie in die gegenüberliegende Hütte weitergereicht. Die Knüpferinnen saßen dort im schützenden Schatten der Palmdächer vor ihren Webrahmen. Zwei in die Erde gerammte Holzpflöcke, auf denen die Gürtel für die Lendenschurze der Männer gewebt wurden sowie der Brustschmuck für die Frauen.
Vor einem der Webrahmen hockte eine ganz junge Frau im Schneidersitz, beinahe selbst noch ein Kind. Sie hatte erst den Ansatz eines winzigen Busens und war doch schon dabei, die feinen Baumwollfäden zu einer Babytrage zu knüpfen – ein Zeichen dafür, dass sie bereits ein Kind erwartete. Eine ältere Frau aus dem Nachbardorf, deren Namen ich nicht kannte, kaute emsig Kautabak, während ihre rauen Fingerkuppen die feinen Baumwollfäden in gleichmäßige Reihen kämmten. Hin und wieder spuckte sie den nassen Tabak an einen Pfosten in der Hüttenecke. Die dunkle Schlacke landete mit einem lauten Klatschen auf dem Holz. Zielsicher. Ich versuchte nicht hinzuschauen. Eklig war das. Ansonsten verzog die Alte keine Miene, nur ihre Finger bewegten sich unaufhörlich auf und ab. Ein emsiges Krabbeln, wie von zwei flinken Spinnen. Auf dem Webrahmen zeichneten sich schon bald die Umrisse einer wunderschönen Hängematte ab. Sie war viel breiter als unsere Alltagshängematten und zudem noch verziert. Die Hängematten in unseren Hütten waren über die Jahre durch das Waschen im Fluss eingelaufen und hatten inzwischen die Farbe von Tee angenommen. Ihre Fäden waren so ausgedünnt, dass man beim Hineinkrabbeln aufpassen musste, den Stoff nicht mit den Händen oder Füßen zu durchstoßen.
Ganz anders die neue Hängematte: Wie gerne hätte ich auch so eine feine Schlafstätte gehabt. Dafür hätte ich sogar meine Puppe Alicechen eingetauscht. Doch Antonia, von der ich mir insgeheim ein wenig Verständnis erhoffte, als ich ihr meinen Wunsch vortrug, schüttelte bestimmt den Kopf. Hängematten wie diese waren nur für unsere stolzen Tänzer bestimmt. Nicht für kleine Mädchen.
Aparai beim Knüpfen eines Lendenschurzes
Am Nachmittag traf ich auf Koi, diesmal mit Tanshi und Mikulu im Schlepptau. Die drei waren ähnlich ratlos wie ich. »I ch fühle mich wie ein Kaikushi schipölö«, sagte Koi und deutete mit einer dramatischen Handbewegung auf ihre abgeschnittenen Haare. Eine Maßnahme ihrer Mutter Malina, welche das Läusesuchen einfacher machte. Doch ein hässlicher Hund war Koi ganz bestimmt nicht, auch wenn der Vergleich passte: Wir wurden in diesen Tagen genauso
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