Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
verscheucht wie sonst nur die herumstreunenden Hunde. Normalerweise wurden wir Kinder in alles mit eingebunden.
Etwas beleidigt beschlossen wir, den Erwachsenen aus dem Weg zu gehen. Vielleicht war ja ein seltsamer Geist in sie hineingefahren? »D er Ahnengeist des Tamoko«, unkte Mikulu. War das nicht das schreckliche Urwaldungeheuer, das Menschen fraß? Wir beschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.
Wir hockten uns auf den Baumstamm, der seit einigen Wochen auf dem Dorfplatz herumlag. Die Männer wollten daraus einen Einbaum fertigen, sobald das Holz trocken genug war. Der Stamm lag in der Sonne wie ein riesiges Holzkrokodil beim Mittagsschlaf. Von hier aus konnten wir das Treiben im Dorf verfolgen.
In der Hütte vor uns wurde in großen Mengen Maniokbier gebraut. Schildkröte Pulupulu, die Erstfrau von Kois Vater, rührte unaufhörlich den dickflüssigen Maniokbrei mit einem Kochpaddel um. Neben ihr stand Malina und half. Als sie fertig waren, kauten sie ein bisschen von dem Brei und spuckten ihn anschließend wieder in den Kessel zurück. Vorsichtig füllten die beiden Frauen die Flüssigkeit in größere Kalebassen, um sie für ein paar Tage in der Erde zu vergraben. Wenn sie wieder ans Tageslicht befördert wurden, war der Trinkbrei bereits zu Alkohol vergoren.
»D iesmal werde ich trinken, bis ich umfalle«, prahlte Mikulu. Da wir Kinder dieselben Rechte wie die Erwachsenen hatten, waren auch alkoholhaltige Getränke wie Kashiri erlaubt. Selbstredend nur in symbolischen Mengen und nicht, um sich zu betrinken. Mit dem ausdrücklichen Segen meines Vaters und der Bemerkung, dass dies den anderen Aparai-Kindern ganz offensichtlich auch nicht schade, kostete ich die alkoholischen Getränke. Und während ich diese Zeilen aufschreibe, ist mir klar, was meine europäischen Landsleute vermutlich dazu sagen werden.
Tatsächlich mochte ich das Maniokbier sehr gerne. Es schmeckte zwar etwas herb und breiig, hatte aber einen angenehm erfrischenden Nachgeschmack und machte vor allem satt. Dass Spuren vergorener Spucke darin herumschwammen, störte mich nicht im Geringsten. Meine Mutter verzog hingegen jedes Mal leicht das Gesicht, wenn die Schale mit Maniokbier bei ihr landete. Wenn sie dann den Kalebassenrand an ihre Lippen setzte, meinte ich zu beobachten, dass sie nur so tat, als ob sie einen Schluck daraus nähme.
Mein Vater hingegen trank und trank, wie es sich für einen Mann von seiner Statur gehörte. Überhaupt war er ziemlich schmerzfrei, wenn es um die archaischen Bräuche der Amazonasvölker ging.
Das »Brauhaus« von Mashipurimo: Kashiri Kononto darf bei keinem Fest fehlen
Am kommenden Morgen vibrierte der Boden unter unseren Füßen. Das gesamte Dorf schien in Alarmbereitschaft. Wir Kinder trauten uns nur noch zu flüstern und versuchten, uns möglichst unsichtbar zu machen. Als wir an den Fluss kamen, um zu baden, bemerkten wir, dass auch hier die sonst so fröhliche Stimmung in angestrengte Geschäftigkeit umgeschlagen war. Die Frauen schrubbten ihre Kochtöpfe mit Sand und legten ihre frisch gewaschenen Lendenschurze zum Trocknen auf die Felsbänke. Bei Festen musste alles blitzblank sein. Jeder war bemüht, sich von seiner besten Seite zu präsentieren. Selbst die Einbaumboote, die sonst eher durcheinander am Ufer herumdümpelten, lagen nun ordentlich vertäut in der Bucht.
Die Vorbereitung auf dieses geheimnisvolle Fest fühlte sich an wie der Aufbruch zu einem Kriegszug. Nur die alte Peputo blieb erstaunlich gelassen. Während wir ins Wasser sprangen, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. »S o ein Fest habe ich zuletzt als sehr kleines Mädchen erlebt. Das war mal ein ordentliches Fest«, gurrte sie mit ihrem Taubenlachen. Liebevoll zog sie mich an sich, als ich aus dem Wasser kam.
Nur selten erzählte die weise Frau, deren Augenlicht inzwischen getrübt war, etwas über die Vergangenheit. Peputo sprach viel lieber über die Gegenwart. Die Vorbereitungen für das Tanzfest hatten sie zurückversetzt in längst vergangene Zeiten. Und nun sprudelte es beinahe aus ihr heraus. Sie berichtete uns von schlimmen Jahren, in denen die Aparai und Wajana wie die Fliegen starben, weil Kriege herrschten und Seuchen ganze Völker dahinrafften. Aus ihrer großen Familie war die junge Peputo die Einzige, die überlebt hatte. Was folgte, waren Jahrzehnte, in denen niemand mehr ans Feiern dachte, nur noch ans Überleben. Jetzt, wo es den Aparai und den Wajana wieder besser ging, war es an der Zeit,
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