Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Tamokos anrief. Nach zähem Ringen gelang es ihm, den großen Urahnen der Ungeheuer zu besänftigen. Die rachsüchtigen Wesen zogen sich daraufhin wieder in den tiefen Urwald zurück und wurden seither nie mehr gesehen.«
Nachdem Peputo geendet hatte, schloss sie die Augen, was so viel hieß wie: Nun lasst mich wieder in Ruhe. Eine Weile saßen wir noch etwas unschlüssig auf den warmen Felsen herum und ließen die grausige Geschichte auf uns wirken. Koi fand als Erste die Sprache wieder. Sie packte mich am Handgelenk und zog mich hoch. Etwas zerstreut schlenderte ich hinter ihr ins Dorf zurück, wo die Spannung inzwischen allgemeiner Fröhlichkeit gewichen war. Immerhin wussten wir nun, weshalb das Tamoko-Fest so etwas Besonderes war. Es war die mahnende Erinnerung an einen Rachefeldzug gegen hochmütige Menschen. Wer die Natur ohne Grund herausforderte, wurde grausam bestraft. Den Vorfahren der Aparai und Wajana waren die schrecklichen Ereignisse eine Lehre, nie wieder nur zum Spaß auf ein Tier zu schießen.
Araiba bei der Anfertigung eines Tamoko-Tanzmantels
Wochenlang hatten die Männer an ihren geheimnisvollen Maskenkostümen und kunstvollen Tanzmänteln gearbeitet. Da das letzte Tanzfest dieser Art bereits viele Jahrzehnte zurücklag, reiste eine Abordnung aus Mashipurimo einige Bootsstunden flussaufwärts. Dort trafen sie eine alte Aparai, die als junge Frau noch Tamokos hergestellt hatte. Unter den prüfenden Blicken der Siebzigjährigen wurden die traditionellen Muster korrigiert und die Knoten für die Bindungen der Fransen so lange verbessert, bis sie annähernd perfekt waren. Glücklicherweise gab es bei uns in Mashipurimo genügend Flechtmaterial für die langen Fransenmäntel. Die Frauen schleppten körbeweise Baumrindenbast herbei, der anschließend mit den Füßen im matschigen Uferschlamm gestampft wurde, um den Baststreifen eine satte schwarze Farbe zu verleihen.
Wenn ich heute die eigentümliche Schönheit der alten Tanzmäntel betrachte, muss ich daran denken, wie schwierig ihre Anfertigung war. Allein schon für die kunstvollen Gesichtsmasken wurde ein enormer Aufwand betrieben. Die aus Schilfrohr geflochtene Basis für die Gesichtsmaske war mit zwei Öffnungen für die Augenlöcher versehen. Diese Rohmaske musste anschließend mit einer gleichmäßigen Schicht aus schwarzem Bienenwachs überzogen werden. Zu guter Letzt wurden mit Pigmentfarben die geometrischen Muster für die Gesichtszüge des Ungeheuers aufgetragen. Mit kleinen Malstäbchen und Pinseln aus Wildschweinborsten, welche die alten Pinsel aus Menschenhaar abgelöst hatten.
Erst Monate nach dem Fest zeigte uns Araiba, wie die Farben für die Wachsgesichter hergestellt wurden. Das Weiß für die Streifen gewann er aus Mergelerde, das tiefe Rot für die restlichen Verzierungen aus zermahlenen Suupali -Steinen. Schon oft hatte ich dabei zugeschaut, wie Araiba Steine, Rinde oder Kohle im Mörser zerstampfte, um die Pigmente anschließend mit Harzen zu einer dickflüssigen Farbpaste zu vermischen. Mit etwas Glück durften wir ihm dabei zur Hand gehen. Doch wo sich die passenden Zutaten finden ließen, das war und blieb allein Araibas Geheimnis. Neben seinen vielen anderen »B erufen« als Künstler, Historiker, Lehrer, Dolmetscher, Bootsbauer, Jäger und Sammler war er auch der Alchemist von Mashipurimo.
Ganz zum Schluss wurden noch kleine rote Halsfederchen von Papageien auf den spitz zulaufenden Teil der Gesichtsmasken geklebt. Eingefasst vom Baumrindenbast Äto, jenen nunmehr schwarz gefärbten Fransen, die wie lange Haare bis zum Boden hinabhingen. Damit war das Ungeheuerkostüm des Tamoko vollendet.
Wie es genau gefertigt wurde, war ein streng gehütetes Geheimnis, das seit Generationen nur an wenige Auserwählte weitergegeben wurde. Ein Ethnologe, den ich sehr schätze, wies mich erst kürzlich darauf hin, dass der Tanz der Peitschen-Ungeheuer ursprünglich anlässlich des Baus eines neuen Rundhauses aufgeführt worden sein könnte. Ich kann das weder bestätigen noch ausschließen. Bei uns stand das Polootoppo bereits, und das Tamoko-Tanzfest in Mashipurimo war eher eine Kurzversion jenes ausschweifenden Festes, das Peputo vierzig Jahre zuvor noch erlebt haben mochte.
Am Tag des Tamoko-Festes wiesen die Frauen von Mashipurimo Dorfbewohner und geladene Gäste an, rund um die große Maniokhütte Platz zu nehmen. Normalerweise fanden sich hier ein Dutzend Frauen ein, um Maniok zu verarbeiten. Nun verwandelte sich die
Weitere Kostenlose Bücher