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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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abgestorbene alte Rinde von einem halben Dutzend diagonal verlaufender Einschnitte aufgeschlitzt war. Das sah so aus, als hätte etwas sehr Großes und sehr Übelgelauntes im Vorbeitrotten nach dem Baum geschlagen.
    »O Gott«, flüsterte sie. »Das sind Krallenspuren.« Es ist dort vorn, Trisha. Es wartet dort vorn auf dich - mit Krallen und allem.
    Vor sich sah Trisha stehendes Wasser, noch mehr Schilfinseln und etwas, das wie ein weiterer grüner Hügel aussah (aber davon hatte sie sich schon einmal täuschen lassen). Sie sah kein Raubtier ... aber es würde sich natürlich nicht zeigen, nicht wahr? Das Raubtier würde tun, was Raubtiere immer taten, während sie auf den richtigen Augenblick zum Sprung warteten, es gab ein Wort dafür, aber sie war zu müde und zu ängstlich und fühlte sich überhaupt zu elend, als daß es ihr eingefallen wäre ...
    Sie lauern, sagte die kalte Stimme. Das tun sie, sie lauern. Yeah, Baby. Vor allem spezielle wie dein neuer Freund.
    »Lauern«, krächzte Trisha. »Ja, das ist das richtige Wort. Danke.« Und dann watete sie weiter, weil der Rückweg zu weit gewesen wäre. Selbst wenn dort vorn wirklich etwas lauerte, das sie umbringen wollte, der Rückweg war zu weit. Diesmal erwies das Gelände, das wie fester Boden ausgesehen hatte, sich wirklich als fester Boden. Anfangs wollte Trisha nicht recht daran glauben, aber als sie dann näher herankam und zwischen dieser Masse aus grünen Büschen und niedrigen Bäumen kein Wasser mehr glitzern sah, begann sie zu hoffen. Auch das Wasser, durch das sie watete, war jetzt seichter; es reichte ihr nur noch bis zur Wadenmitte, nicht mehr bis zu den Knien oder Oberschenkeln. Und auf wenigstens zwei Schilfinseln wuchsen weitere Jungfarne. Viel weniger, als es auf der Jungfarninsel gegeben hatte, aber sie pflückte alle, die sie finden konnte, und verschlang sie gierig. Die Wedel waren süß, mit leicht säuerlichem Nachgeschmack. Es war ein grüner Geschmack, den Trisha absolut köstlich fand. Hätte es hier mehr gegeben, hätte sie mehr gepflückt und sie in ihrem Rucksack verstaut, aber es gab nicht mehr. Anstatt das zu bedauern, genoß sie mit der Unbeirrbarkeit eines Kindes, was sie hatte. Im Augenblick hatte sie genug; über später würde sie sich später Sorgen machen. Während sie sich auf gewundenen Pfaden zum festen Land schlängelte, biß sie die eingerollten Wedel ab und nagte danach die Stengel ab. Sie nahm jetzt kaum noch wahr, daß sie durch einen Sumpf watete; ihr anfänglicher Abscheu hatte sich gelegt. Als sie nach den letzten Jungfarnen auf der zweiten Schilfinsel greifen wollte, erstarrte ihre Hand. Sie hörte wieder das einschläfernde Summen von Fliegen. Diesmal war es viel lauter. Trisha wäre lieber einen Umweg gegangen, wenn sie gekonnt hätte, aber hier am Rand des Sumpfs hatten sich unter Wasser tote Zweige und überflutete Büsche angesammelt. Durch dieses Gewirr schien nur eine halbwegs freie Rinne zu führen, die sie nehmen mußte, wenn sie nicht zwei weitere Stunden damit verbringen wollte, Unterwasserhindernisse zu überwinden und dabei immer zu riskieren, sich die Füße zu zerschneiden.
    Sogar in dieser Rinne mußte sie über einen umgestürzten Baum klettern. Er war erst vor kurzem gefallen, und »gefallen« war eigentlich der falsche Ausdruck. In seiner Rinde sah Trisha weitere Krallenspuren, und obwohl dichtes Buschwerk den Wurzelstock verbarg, konnte sie sehen, wie frisch und weiß das Holz des abgebrochenen Stammes noch war. Der Baum war jemandem in die Quere gekommen, und deshalb hatte dieser Jemand ihn einfach umgerannt, so daß er wie ein Zahnstocher abgeknickt war. Das Summen wurde noch lauter. Der Rest des Hirsches -jedenfalls der größte Teil davon - lag vor einer üppig mit Jungfarnen bewachsenen Fläche in der Nähe der Stelle, an der Trisha schließlich müde und erschöpft aus dem Sumpf stieg. Dort lag er in zwei Teilen, die nur noch durch sein dicht mit glänzenden Fliegen besetztes Gekröse verbunden waren. Einer seiner Läufe war abgerissen worden und stand wie ein Spazierstock an den Stamm des nächsten Baums gelehnt.
    Trisha preßte ihren rechten Handrücken an den Mund, hastete weiter, so schnell sie konnte, machte dabei seltsame kleine t/rfc-urfe-Geräusche und versuchte mit aller Macht, sich nicht zu übergeben. Dieses Ding, das den Hirsch gerissen hatte, wollte vielleicht, daß sie sich übergab. War das möglich? Der vernünftige Teil ihres Verstands (und sie hatte sich noch ziemlich

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