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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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schnüffelte vorsichtig ihr ganzes Gesicht ab. Insekten krochen in seine Nasenlöcher hinein und aus ihnen heraus. Stechfliegen flatterten zwischen den beiden einander fast berührenden Gesichtern - das eine pelzig, das andere glatt. Gnitzen prallten gegen die feuchte Oberfläche von Trishas offenen, nicht blinzelnden Augen. Die Andeutung eines Gesichts, das dieses Ding besaß, veränderte und verwandelte sich, veränderte und verwandelte sich ständig - es war das Gesicht von Lehrern und Freunden; es war das Gesicht von Eltern und Brüdern; es war das Gesicht des Mannes, der anhalten und einen zum Mitfahren einladen konnte, wenn man auf dem Nachhauseweg von der Schule war. Geh nicht mit Fremden mit, das hatten sie in der ersten Klasse gelernt: nicht mit Fremden. Es stank nach Tod und Krankheit und allem Willkürlichen; das Summen seiner vergifteten Innereien war, das erkannte sie nun, das wahre unterschwellig Wahrnehmbare.
    Es richtete sich wieder auf seine Hinterbeine auf, schwankte leicht wie zu einer bestialischen Musik, die nur es allein hören konnte, und schlug dann nach ihr ... aber das war spielerisch, vorerst nur spielerisch, seine Tatze verfehlte ihr Gesicht um eine Handbreit. Das Vorbeizischen seiner Krallen, an denen dunkles Erdreich haftete, wehte ihr die Haare von der Stirn. Die Haare fielen, leicht wie Pusteblumenwölkchen, zurück, aber Trisha bewegte sich nicht. Sie blieb in Werferhaltung und blickte durch den Unterleib des Bären hindurch, über den sich ein fehlfarbener bläulich-weißer Fellstreifen in Form eines gezackten Blitzstrahls zog.
    Sieh mich an.
    Nein.
    Sieh mich an!
    Es war, als hielten unsichtbare Hände sie an beiden Seiten ihres Unterkiefers gepackt. Langsam, widerstrebend, aber außerstande, sich dagegen zu wehren, hob Trisha ihren Kopf. Sie sah auf. Sie sah in die leeren Augen des BärenDings und begriff, daß es sie auf jeden Fall töten wollte. Mut genügte nicht. Aber was soll's? Wenn ein bißchen Mut alles war, was man hatte, was soll's? Es wurde Zeit, das Spiel zu beenden.
    Ohne darüber nachzudenken, hob Trisha ihren linken Fuß, bis er fast das rechte Bein berührte, und begann ihren Bewegungsablauf - nicht den, den Dad sie auf dem Rasen hinter dem Haus gelehrt hatte, sondern den anderen, den sie im Fernsehen von Gordon gelernt hatte. Als sie wieder nach vorn trat und ihre rechte Hand am rechten Ohr vorbei und weit darüber hinaus führte - ihren Körper stark nach hinten gelehnt, denn dies würde kein gemächlicher, zu langsamer Wurf, kein leicht zu schlagender Ball sein; dies würde ein Herzensbrecher, der wahre Hammer sein -, machte das Bären-Ding einen unbeholfenen Schritt rückwärts, bei dem es fast das Gleichgewicht verlor. Registrierten die sich windenden Lebewesen, denen er seinen schwachen Gesichtssinn verdankte, den Baseball in ihrer Hand als Waffe? Oder war es Trishas bedrohliche, aggressive Bewegung, die es erschreckte - die erhobene Hand, das rasche Vortreten in einem Augenblick, in dem sie hätte zurücktreten und sich umdrehen sollen, um die Flucht zu ergreifen? Unwichtig. Das Ding grunzte anscheinend verblüfft. Eine kleine Wespenwolke stieg wie lebender Dampf aus seiner Schnauze auf. Bei dem Bemühen, sein Gleichgewicht zu halten, wedelte es mit einem behaarten Vorderlauf. Während es noch darum kämpfte, auf den Beinen zu bleiben, krachte ein Schuß.
    Der Mann, der an diesem Morgen in den Wäldern unterwegs war, das erste menschliche Wesen, das Trisha McFarland nach neun Tagen wieder zu Gesicht bekam, war zu durcheinander, um auch nur zu versuchen, der Polizei etwas vorzulügen, warum er mit einem großkalibrigen Schnellfeuergewehr im Wald unterwegs gewesen war; er hatte es außerhalb der Jagdsaison auf einen Hirsch abgesehen gehabt. Sein Name war Travis Herrick, und er hielt nichts davon, Geld für Essen auszugeben, wenn es nicht sein mußte. Es gab zu viele andere wichtige Dinge, für die man Geld brauchte - Lotterielose und Bier, um nur zwei zu nennen. Jedenfalls wurde er nie wegen dieser Sache vor Gericht gestellt oder auch nur mit einer Geldstrafe belegt, und er erlegte auch den Schwarzbären nicht, den er dicht vor dem kleinen Mädchen stehen sah, das ihm so still und mutig gegenüberstand.
    »Hart' sie sich bewegt, als er zuerst zu ihr hingekommen ist, hätt' er sie zerrissen«, berichtete Herrick. »Es ist ein Wunder, daß er sie nicht trotzdem zerrissen hat. Sie muß ihn angestarrt und ihm den Schneid abgekauft haben - genau wie Tarzan in diesen

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