Das Maedchengrab
Derartig herausgefordert, wandte sie ihre ganze Aufmerksamkeit nun wieder dem Rechnen zu. Sie löste den Bruch und erhielt dafür ein Lob.
Doch es wollte und wollte Fine nicht aus dem Kopf gehen, was die Klasse auf dem Friedhof entdeckt hatte. Gleich nach Schulschluss nahm sie ihren Bruder auf die Seite und fragte, ob er wirklich nichts über den Tod einer Elisabeth Breidbach wisse.
Basti schüttelte den Kopf. »Sicher nicht. Aber ich würde gern mehr dazu erfahren, genau wie du. Also müssen wir jemanden fragen.«
»Das sollten wir wohl«, entgegnete Fine.
Noch am selben Mittag vertraute sie sich ihrer Quartiersmutter an und erzählte von dem Erlebnis auf dem Friedhof.
Doch kaum hatte Fine Lisbeths Grab erwähnt, da hob Marjann abwehrend die Hand. »Denk nicht darüber nach, Kind, denn das macht die kleine Lisbeth auch nicht wieder lebendig. Es ist eben so, dass manchmal auch Kinder und ganz junge Menschen sterben müssen. So wie meine drei Mädchen.« Marjann seufzte tief, und Fine fragte nicht mehr.
Am Abend besprach sie sich mit Basti. Er war enttäuscht, dass sie nichts erfahren hatte.
Da kam Fine ein Gedanke. »Ich werde Ulla fragen«, entschied sie.
»Ulla?«
»Ja, die ist vertraulich. Sie wird mir wegen der Frage nicht böse sein und auch nicht die Antwort verweigern. Und ganz sicher wird sie mich nicht an den Oberlandbauern verpetzen. Obwohl er ja unser Vormund ist.«
»Aber ich komme mit«, drängte Basti.
»Das geht nicht, auch wenn du mein Bruder bist«, gab Fine entschlossen zurück. »Erst einmal will ich allein mit Ulla reden, von Mädchen zu junger Frau. Danach erzähle ich dir, was sie über diese Elisabeth weiß.«
Basti gab sich geschlagen. Am Nachmittag spielte er mit den anderen Knaben aus dem Dorf am Weiher. Zur selben Zeit ging Fine zum Oberlandhof. Dort traf sie Ulla allein in der Küche an. Die Jungmagd war dabei, kupferne Pfannen mit einer Paste aus Seife und feinem Sand zu scheuern. Nebenbei achtete sie auf ein Suppenhuhn, das in einem Gemüsesud auf dem Herd köchelte.
Ulla freute sich, Fine zu sehen. Sie fragte, wie es ihr in der Schule ergehe und ob sie mit dem neuen Lehrer zurechtkomme. Im Dorf habe er sich ja schon recht beliebt gemacht.
Fine konnte nur bestätigen, welch gute Lehrkraft Herr Schneider sei. Sie und Ulla erinnerten sich gern an das eine Jahr, als sie gemeinsam die Klassenbank gedrückt hatten. Fine war damals im ersten und Ulla im letzten Schuljahr gewesen. Noch immer fiel ihnen manch lustige Begebenheit ein, und so saßen sie in der Küche des Oberlandhofes und kicherten.
Schließlich fasste Fine sich ein Herz, wurde ernst und kam zur entscheidenden Frage: »Sag, Ulla? Kanntest du eine Elisabeth Breidbach?« Mit großer Genauigkeit beobachtete sie Ullas Gesicht, und es kam ihr so vor, dass die Jungmagd erschrak. Aber Fine fragte gleich weiter: »War es die Tochter vom Köhlmattes und seiner Frau? Wir standen heute mit der ganzen Schulklasse an ihrem Grab, und niemand wusste etwas von ihr.«
Tatsächlich brauchte Ulla einen Moment, um zu begreifen, was Fine da wissen wollte. »Bist du deswegen hergekommen? Um mich das zu fragen?«
»So ist es«, erleichtert bemerkte Fine, dass die Jungmagd zwar überrascht, aber ohne Vorwurf war.
»Die Lisbeth meinst du also?« Ulla räusperte sich. »Ja, das war die Tochter von Köhlmattes und Köhlgretel. Aber wenn ihr etwas darüber wissen wollt, dann wendet euch doch lieber an die älteren Leute im Dorf. Ich war ja selbst noch ein Kind, als Lisbeth starb.«
Fine ließ nicht locker. »Ich habe ausgerechnet, dass ich damals vier Jahre alt war und der Basti erst zwei. Aber du warst schon neun. Da wirst du dich doch erinnern?«
Wieder zögerte Ulla mit der Antwort.
»Magst du nicht darüber sprechen?«, hakte Fine vorsichtig nach.
Ulla tat sich schwer, doch als sie in Fines bittende Augen blickte, ging sie auf die Fragen ein. »Im Dorf hat damals keiner offen darüber geredet. Nicht einmal in der Zeit, als fast täglich im Kölnischen Anzeiger darüber zu lesen war.«
»Es stand sogar in der Zeitung?!«
»Das schon. Aber trotzdem: Wenn die Sprache darauf kam, wirkten die Leute wie verschlossen. Viele haben gesagt, Lisbeth sei an einer Krankheit gestorben, weiter nichts.«
»Hatten die denn solche Angst vor der Wahrheit?«
»Sicherlich«, entgegnete Ulla. »Vermutlich schweigen sie deswegen noch immer. Weil alles so schlimm war und die Sache nie geklärt wurde.«
»Was war denn passiert?!«, fragte Fine in
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