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Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
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heller Aufregung.
    »Ich will es dir erzählen.« Angestrengt atmete Ulla ein und gleich wieder aus. »Lisbeth war Magd auf dem Hof des Lohbauern, aber sie schlief jede Nacht im Haus ihrer Eltern. Und sie ist umgekommen. Von fremder Hand.«
    »Du meinst, man hat sie ...?« Fine hielt sich die Hand vor den Mund, als müsste sie sich selbst verbieten, weiter zu sprechen. Tief im Inneren hatte sie es längst geahnt. Aber jetzt, wo Ulla das entsetzliche Ereignis in Worte fasste, durchliefen Schauer des Schreckens Fines junge Seele.
    »Getötet«, ergänzte Ulla den Satz. »Richtig. Lisbeth wurde getötet. Du willst es ja unbedingt wissen, also sage ich es dir: Man hat ihr die Adern durchschnitten«, sie zeigte links und rechts auf den Hals. »Und daran ist sie verblutet.«
    Dass Lebewesen verbluten konnten, hatte Fine schon bei einem Kaninchen aus dem Stall ihrer Eltern erfahren: Es war verblutet, nachdem es Junge geworfen hatte. Aber Lisbeth war – anders als das Kaninchen – keines natürlichen Todes gestorben. Was Ulla da erzählte, schien um so vieles entsetzlicher als alles, was Fine je gehört hatte. »Also hat jemand sie ermordet?!«
    »Ja«, Ulla fiel das Reden nun offenbar leichter. Das Schlimmste war wohl schon ausgesprochen. »Jedenfalls wies nichts darauf hin, dass sie sich den Schnitt selbst zugefügt haben könnte.«
    »Aber warum denn nur? Sie war doch noch so jung. Wer tut denn so etwas?«
    »Sie hatte die Einnahmen vom Markttag bei sich, etwas mehr als einen Taler. Es kann sein, dass es Raubmord war, aber ganz sicher ist die Polizei da nicht.« Wie um sich abzulenken, trat Ulla an den Herd und rührte im Kochtopf.
    Ein Duft von kräftiger Hühnersuppe breitete sich in der Küche aus. Fine war verwirrt. Dieser Geruch löste üblicherweise ein Gefühl von tiefer Behaglichkeit in ihr aus. Jetzt stand er in grobem Gegensatz zu den grauenvollen Dingen, die hier zur Sprache kamen.
    »Die Polizei sucht wohl immer noch«, erzählte Ulla weiter. »Denn ein Mörder darf nicht ungestraft bleiben. Damals, als es geschah, gingen die Gendarmen durch sämtliche Häuser.«
    »Also auch zu unseren Eltern?«
    »Sicherlich. Zu euren Eltern genauso wie zu meinen. Aber überlege, wie klein du damals noch warst. Daran kannst du dich natürlich nicht mehr erinnern. Und eure Eltern haben euch sicherlich geschützt, damit ihr nichts davon erfahrt und euch keine Sorgen macht.«
    »Aber wird die Polizei den Mörder denn noch finden? Gibt es jemanden, der verdächtig ist?«
    Offenbar hatte Ulla mit diesen Fragen schon gerechnet, denn sie sah Fine beschwörend an. »Was ich dir jetzt erzähle, darüber darfst du mit niemandem reden. Versprichst du mir das, Fine? Auch nicht mit der Schwarzen Marjann, und erst recht nicht mit dem Köhlmattes und seiner Frau, deren Tochter die Lisbeth ja war.«
    Fine nickte, und zur Bestätigung ihres Versprechens schlug sie ihre Hand in die flach dargebotene Hand der Magd ein.
    »Es gab zwei Verdächtige«, fuhr Ulla fort. »Und einer davon war Johannes Kürten.«
    »Aber das ist doch Hannes!« Fine schreckt auf. »Der Sohn von der Schwarzen Marjann!«
    »Genau der. Er hatte kurz zuvor das Dorf verlassen und es niemandem angekündigt. Von heute auf morgen war er nicht mehr da, ohne jedes Adieu.«
    »Aber er ist ja nach Amerika gegangen«, sagte Fine. »Die Schwarze Marjann erzählt doch immer davon.«
    »Genau darum geht es ja. Dass Hannes nach Amerika ausgewandert war, konnten die Leute im Dorf nicht recht glauben. Denn schließlich hatte sein Vater Berthold ja damals eine Postkutsche überfallen. Und da lag es nahe zu glauben, dass auch der Sohn sich eines Verbrechens schuldig macht.«
    Fine fühlte sich nicht wohl dabei, Marjanns gehenkten Mann in Schutz zu nehmen. Doch es schien ihr ungerecht, wegen eines Raubes, den der Vater begangen hatte, nun seinem Sohn Hannes einen Mord anzuhängen. Also sagte sie: »Das mit der Postkutsche war ein Überfall, aber kein Mord, dies weiß ich von Marjann. Und ihr Mann hat doch auch nur deswegen den Überfall begangen, weil seine ganze Familie hungern musste. Selbst wenn Berthold ein Verbrecher war, heißt das doch nicht, dass auch sein Sohn einer ist. Und schon gar kein Mörder.«
    Ulla zuckte mit den Schultern. »Trotzdem war es wohl nicht recht glaubhaft, dass Hannes so plötzlich und ohne Abschied nach Amerika gegangen sein sollte. Viele Leute hier sind zur selben Zeit ausgewandert. Aber keiner von denen hat Hannes je in den Vereinigten Staaten gesehen.

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