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Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
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verärgern wollte, sagte sie nur: »Bestimmt werde ich mich rasch daran gewöhnen und dann alles richtig machen.«
    Zufrieden nickte die Ravenzacherin und führte Fine in den Stall. Dort hatte das Hausgänsepaar ein Gelege von sechs Eiern ausgebrütet. Die Küken in ihrem noch grauen Gefieder reckten Fine die Hälse entgegen, so als könnten sie es gar nicht erwarten, auf die Sommerwiese geführt zu werden.
    Doch bevor die Ravenzacherin die Stalltür öffnete, musste sie noch etwas loswerden. Denn offensichtlich ging es ihr ähnlich wie dem Oberlandbauern, der Fine ja bereits ins Gewissen geredet hatte. »Eins will ich dir aber noch ernsthaft sagen.« Die Ravenzacherin legte ihre Stirn in Falten und blickte Fine eindringlich an. »Natürlich wirst du das Hüten schnell erlernen. Aber wohl ist mir nicht dabei, dass ein Mädchen mit praktischem Sinn und schnellem Geist sich für eine derart niedrige Arbeit hergibt. Wenn man so einen Dienst gemacht hat, geht einem das ein Leben lang nach. Die Leute vergessen es einem nie und sehen einen ständig darauf an. Man wird sagen: Das ist ja nur die Gänsehirtin. Jeder, der dich einmal in Dienst nehmen will, wird sich dessen besinnen. Und auch wenn man dich aus Barmherzigkeit nimmt, kriegst du schlechten Lohn und schlechte Behandlung, dann heißt es immer: Für eine Gänsehirtin ist das ja wohl genug.«
    Die klaren Worte taten einen Stich in Fines Herz. Doch sie ließ sich nicht beirren und lachte sogar. »Ach, liebe Ravenzacherin, nun malt mir nicht den Teufel an die Wand. So schlimm wird es schon nicht sein. Ich habe schon viele Geschichten gehört, in denen eine Gänsehirtin Königin geworden ist.«
    Da schüttelte die Ravenzacherin den Kopf, so verwundert war sie über die schlagfertige Antwort. »So ist das wohl nur bei den Brüdern Grimm«, meinte sie nun um einiges freundlicher, »aber wer weiß: Es mag ja sein, dass auch für dich ein Märchen wahr wird. Fine, Fine! Manchmal ist es mir, als ob du gar kein Kind mehr bist. Es kommt mir vor, als hättest du eine Seele, die viel älter ist als du selbst. Aber vielleicht gereicht dir ja gerade das zu deinem Glück.«
    »Ganz sicher, liebe Ravenzacherin«, gab Fine lächelnd zurück. »Und nun möchte ich mit meinem neuen Dienst beginnen.«
    Da öffnete die Frau die Stalltür und trieb die Gänsemutter mit den vier Küken heraus. Der bissige Ganter hingegen sollte auch den Sommer über im Stall bleiben. Fröhlich nahm Fine ihre ersten Schützlinge entgegen. Die Gänsemutter erwies sich als gelehrig, sie folgte mühelos den Anweisungen von Fines Gerte. Die Kleinen wiederum folgten ihrer Mutter, und so zog Fine weiter zu den übrigen Häusern, wo schon Küken geschlüpft waren. Schließlich hatte sie siebenundzwanzig Tiere beisammen, und es sollten noch mehr werden, denn einige Gänsepaare im Dorf waren noch beim Brüten.
    Fine trieb ihre Herde auf die Hollerwiesen, so nannte man den kleinen Weideplatz talwärts am Bach. Er lag nördlich des Dorfes und hatte seinen Namen von den ringsum stehenden Holunderbüschen. An der Seite, von wo der Wind sich die Hügel hinab seinen Weg ins Tal bahnte, war der Gänseplatz von Birnbäumen begrenzt. Weil sie kaum noch Blätter und längst keine Früchte mehr trugen, bezeichnete man sie als Holzbäume. Für den Platz stellten sie einen guten Windschutz dar, darum fällte man sie nicht.
    Hierher trieb nun Fine ihre Gänsegemeinschaft. Anfangs musste sie von der Gerte oft Gebrauch machen, denn die weitläufigen Wiesen waren ungewohnt für die Tiere. Noch wussten sie nicht recht, wie sie sich verhalten sollten. So drängten sie sich manchmal eng um ihre Hirtin zusammen, dann wieder trieben sie in Gruppen auseinander. Auch wenn es eigentlich eine leichte Arbeit war, merkte Fine doch, dass sie noch einige Übung brauchte. Vor allem fürchtete sie, einen Teil der Tiere aus den Augen zu verlieren und so dem Fuchs auszuliefern. In einiger Anspannung verbrachte sie den ersten Tag ihres neuen Dienstes. Mit Beginn der Dämmerung war sie froh, sämtliche Gänse in den mit Stroh ausgelegten und nach oben hin verdrahteten Pferch zu treiben. Hier, am Rande der Wiesen, konnte das Federvieh geschützt vor Füchsen und anderen Raubtieren die Nächte verbringen.
    Wieder daheim erzählte Fine von den Schwierigkeiten, die sie hatte durchstehen müssen.
    »Du wirst das Hüten schnell erlernen«, sagte Marjann tröstend. »Vor allem musst du wissen: Tiere, die in Herden leben, sind jedes für sich alleine dumm.

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