Das Maedchengrab
nicht, was sie von Bärbels Tagebuch halten sollte.
»Sag einmal«, meinte Fine schließlich, »der Lohbauer kommt doch nicht zu eurer Feier, oder?«
Entschieden schüttelte die junge Braut den Kopf. »Nein, er ist ja zum Glück aus Freilingen und nicht aus unserem Dorf. Da brauchten wir ihn nicht einzuladen.«
»Das ist gut.«
Fine drehte sich auf dem Schemel langsam um die eigene Achse, während Gudrun ihren prüfenden Blick auf dem Kleidersaum hielt.
»Denk nicht weiter darüber nach, Fine«, sagte sie beim Abschied. »Lass die Polizei ihre Arbeit machen. Meinem Gefühl nach hat der Lohbauer unsere Bärbel nicht ermordet. Doch selbst, wenn er der Täter sein sollte, so hätte das ausschließlich mit dem zu tun, was zwischen den beiden war. Ein blindwütiger Mörder ist er sicher nicht. Darauf kannst du vertrauen.«
Fine bedankte sich und ging zurück zum Oberlandhof. Sie sprach mit niemandem darüber, was sie eben bei Gerd und Gudrun erfahren hatte. Doch die Gedanken daran ließen sie nicht los. Konnte es tatsächlich wahr sein, was Bärbel ins Tagebuch geschrieben hatte?
Sie fand keine Antwort darauf und musste schließlich Gudrun recht geben: Es führte nicht weiter, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Fine beschloss, sich lieber auf ihr Kleid und die bevorstehende Feier zu freuen, und dank des heranziehenden Frühlings gelang ihr das leicht. Am Tag vor der Hochzeit war es dann endlich soweit: Fine konnte ihr neues Kleid bei Gudrun abholen.
Der Reitersmann
Am Nachmittag der Hochzeit flocht Marjann ihrer Pflegetochter zwei von den veilchenblauen Bändern in den Zopf ein, die farblich so gut zum samtenen Mieder passten. Dann führte Fine das neue Festtagsgewand vor. Einen großen Spiegel, in dem sie sich von Kopf bis Fuß hätte betrachten können, gab es im Haus leider nicht. Also verließ sie sich auf Marjanns Urteil, sie wiegte und drehte sich vor der alten Frau.
Marjann war von allem begeistert, sie lobte den guten Geschmack bei der Stoffauswahl und Gudruns Geschick. Denn die hatte das Kleid so gefertigt, dass es mit leichten Änderungen auch noch passen würde, wenn Fine als erwachsene Frau rundlichere Formen haben sollte. »Nun wollen wir schleunigst zur Kirche gehen und anschließend zum Tanz«, sagte sie. »So schön wie du bist, sollte es wohl nicht lange dauern, dass sich einer der Jungen im Dorf in dich verliebt, und du schneller als du denken kannst die nächste Braut wirst.«
Marjann hatte dies scherzend gemeint, dennoch entgegnete Fine in großem Ernst. »Dabei halte ich mich doch an das, was Ihr mich gelehrt habt, Tante. Ich werde gleichmäßig freundlich sein zu den jungen Männern. Aber ehe ich mein Herz verschenke, schaue ich mehr als zweimal hin. Dann werde ich schon merken, wenn ich dem Mann gegenüberstehe, der der richtige ist, um mein ganzes Leben mit ihm zu verbringen. Bis jetzt habe ich so einen jedenfalls noch nicht in unserem Dorf gefunden.«
Wie Fine es fast schon geahnt hatte, erwiderte Marjann: »Ach, du solltest meinen Hannes kennen lernen. Ich wette, du verliebtest dich auf der Stelle in ihn, und ich wüsste meine liebsten Kinder miteinander verbunden und könnte in Ruhe sterben.«
In stiller Umarmung standen die beiden einige Sekunden. Genau zu diesem Moment begann das Läuten der Kirchglocken. Fine und Marjann machten sich zur Feier auf.
Die Messe wurde an einem Donnerstag gehalten – wie es dem Brauch in dieser Gegend entsprach. Wer es nur irgend einrichten konnte, seinem Haus fernzubleiben, kam zur Kirche. Für das anschließende Beisammensein hatte man sich besprochen: Die Gäste wechselten sich ab mit dem Feiern und der Versorgung des Viehs. So konnte ein jeder zumindest stundenweise an der Hochzeit teilnehmen.
Das Orgelspiel setzte ein, und bald darauf betraten Gerd und Gudrun Arm in Arm das Gotteshaus. Bei ihrem Weg zum Altar lagen alle Blicke auf ihnen. Manch junge Frau hielt sich die flache Hand vor den Mund, wenn ihr ein Ah! und Oh! entglitt.
Gudruns Gewand entfachte die Bewunderung aller Gäste. Es war gewirkt aus schlichter, schwarzer Atlasseide mit einem Spitzenbesatz an Ärmeln und dem Halsausschnitt. Alles krönte eine aufwändige Frisur, wie sie in diesen Jahren gern bei festlichen Anlässen getragen wurde. Sie ging zurück auf die österreichische Kaiserin Maria Theresia und bestand aus nicht weniger als vierzehn einzelnen, kunstvoll ineinander geschlungenen Zöpfen. Eva und Anna, Gudruns beste Freundinnen aus Kindertagen, hatten sich diesen
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