Das Maedchengrab
Tasche.
Basti versuchte, sich dem Zwangsgriff des Knechts zu entwinden. »Ich war das nicht!«, schrie er. »Das war ein Mann mit schwarzem Umhang! Ich habe ihn noch gesehen! Da drüben!«
Er wollte seinen Arm ausstrecken und zum Wald zeigen, doch gegen die Kräfte des Knechts konnte er nichts ausrichten. Nicht nur, dass Alex ihn festhielt. Er hob ihn auch eine halbe Elle vom Boden ab. Basti strampelte und wand sich, obwohl es ihm nichts nützte. Erst als er den entsetzten Blick seiner Schwester sah, wurde er ruhiger und heulte laut auf. Von einer Sekunde auf die andere rannen ihm Tränen wie Sturzbäche über die Wangen.
Fine wäre gern zu ihm gegangen, um ihn zu trösten. Doch der Oberlandbauer stellte sich dazwischen. »Um den kümmern sich die Landjäger.« Mit einer Kopfbewegung gab er seinem Knecht zu verstehen, Basti auf den Hof zu bringen.
Verzweifelt musste Fine zusehen, wie Alex ihren Bruder mit nach hinten gedrehten Armen vor sich herschob. Es war ihr, als legte sich um ihr Herz ein Band aus kaltem Eisen. »Wehr dich nicht«, rief sie Basti mit geschwächter Stimme nach. »Es wird sich alles klären!«
Sie erkannte noch, wie er versuchte, sich zu ihr umzuwenden. Doch Alex’ riesige Hand drehte Bastis Kopf wieder nach vorn.
Weitere Mägde und Knechte waren dem Geschrei folgend an den Bach gekommen. Die Großmagd lief ihnen entgegen, um sie vor Ullas grausamem Anblick zu warnen. Fine stand wie erstarrt, das Blut war aus ihrem Gesicht gewichen, und sie atmete schnell.
Der Oberlandbauer merkte, wie nah sie der Ohnmacht war. »Setz dich auf den Boden«, befahl er. »Und bleib da. Rühr dich nicht.«
Fine tat, wie ihr geheißen. Der Bauer ließ nach einem weißen Laken schicken. Er selbst schloss Ulla mit sanfter Hand die gebrochenen Augen und bekreuzigte sich. Viele vom Gesinde, auch Fine, taten es ihm nach. Nach einem kurzen Gebet bat er seine Großmagd, Fine zum Haus zu begleiten.
Schon als sie die Tenne betraten, kam es Fine vor, als läge ein dunkler Nebel der Trauer über dem Hof. Selbst die Tiere in ihren Ställen bewegten sich leiser als sonst. Schweigend kam ihr die Oberlandbäuerin entgegen. Sie dankte der Großmagd und führte Fine in eine Krankenstube. Dies war ein kleiner Raum nicht weit von der Küche, der üblicherweise nur den Mitgliedern der Bauersfamilie vorbehalten war. Doch die Ereignisse wogen so schwer, dass die Oberlandbäuerin eine Ausnahme machte. Sie war von entschlossenem Gemüt, stets sicher in dem, was zu tun war. Ullas Tod berührte sie sicherlich tief, wenn sie auch nicht weinte. Wie es ihre Art war, blieb sie gefasst und half Fine, sich aufs Bett zu legen. Dann bracht sie Baldriantee und einige gebutterte Brotscheiben. Fine aß das Brot und trank den Becher leer. Von Zeit zu Zeit schaute die Bäuerin nach ihr, und als sie merkte, dass ihre Jungmagd wieder zu Kräften kam, erlaubte sie ihr aufzustehen.
»Wo ist mein Bruder?«, fragte Fine schüchtern.
»Sorge dich nicht«, entgegnete die Bäuerin. »Die Männer haben ihn in den Holzschuppen gesperrt. Aber alles Werkzeug haben sie vorher daraus entfernt, damit er sich nichts antun kann in seiner Angst. Wir haben ihm zu essen und zu trinken gegeben, und er verhält sich friedlich. Trotzdem muss er dort bleiben, bis die Gendarmen eintreffen. Denn wir wollen uns nicht nachsagen lassen, dass wir ihn nicht gut bewacht hätten.«
»Darf ich bitte zu ihm?«, flehte Fine.
»Gehe zu deinem Bruder«, die Bäuerin lächelte milde. »Doch Alex muss dabei sein, wenn ihr miteinander sprecht.«
Fine eilte zum Schuppen. Bastis Kiepe war an die Bretterwand gelehnt, die Holzscheite darin wieder sorgfältig aufgestapelt. Vor der Tür stand Alex und hielt Wache. Auch er schien tief ergriffen über Ullas Tod, denn sein Blick war schmerzverzerrt. Wohl gerade deswegen erfüllte er seine Pflicht mit großem Ernst. An ihm vorbei hätte Basti niemals entweichen können. Aus dem Schuppen drang lautes Schluchzen. Alex öffnete die Tür und hielt sie einen Spalt offen, damit er hören konnte, was die Geschwister beredeten. Doch vorerst war an sprechen nicht zu denken, denn als Fine ihren Bruder sah, fielen die beiden sich in die Arme und weinten herzzerreißend.
So hielten sie sich minutenlang, dann sagte Fine: »Die Landjäger kommen bald. Lass uns reden, denn viel Zeit haben wir nicht.«
Sie setzten sich einander gegenüber auf zwei Schemel.
Mit jammervollem Gesicht sah Basti seine Schwester an. »Alles war so grausam und voller Blut. Das
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